Die Leidenschaft und das „G’hört sich“

KÜNSTLERHAUS / PRAXIS DER LIEBE

24/04/13 Da haben wir also frisch im Kopf, von der gestrigen ZiB2 erst, die turbulenten Szenen aus dem französischen Parlament: In Sachen gleichgeschlechtlicher Liebe schlagen sich die Abgeordneten beinah genau so die Schädel ein wie die Demonstranten, pro oder contra, auf der Straße…

Von Reinhard Kriechbaum

080Genau darum geht es in der neuen Schau im Salzburger Kunstverein, „Praxis der Liebe“. „Jeder hat das Gefühl, diese Befindlichkeit habe vor allem mit ihm selbst zu tun – es gibt aber gesellschaftliche, religiöse, soziale Prämissen“, erklärt Doris Guth, die diese Schau mit hohem Video-Anteil gemeinsam mit Hemma Schmutz kuratiert hat. Die große, reine Liebe also im Würgegriff des Common Sense, die eigene weite Seele in arger Bedrängnis durch das drängelnde „G’hört sich“?

Ist die Neugier mal geweckt in diese Richtung, erwartet also von Seiten der Künstlerinnen und Künstler brisante Statements. Legen sie ihre Finger auf blutende Wunden, die jede Liebe, die von außen irritiert wird, logischerweise hinterlässt?

081Christian Jankowski hat Szenen südamerikanischer Telenovelas zusammengeschnipselt: eine® nach dem/der anderen bricht in Tränen aus. Tracy Moffat hat ebenfalls geschnitten auf Teufel-komm-raus und zuerst lauter Filmszenen aneinandergehängt, in denen Frauen Gewalt angetan wird. Die drehen dann freilich den Spieß um und wehren sich bleischwer, mit der Pistole; das ist die zweite Hälfte des Videos. Marina Abramovic und ihr damaliger Partner Ulay haben sich beim innigen Kuss in Ultra-Nahaufnahme gefilmt, Mund-zu-Mund-Beatmung durch den Partner, was zu ungesunder Sauerstoffknappheit führt. Marianne Vlaschits hat ebenfalls bekannte Filmszenen hergenommen, aber daraus eine Art Siebdruck-Cartoon geformt. Botschaft: Liebe hat alsbald mit Heulen und Zähneknirschen zu tun.

082Nun ja. Wo versteckt sich denn nun der Ansatz der politischen, sozialen Dimension der Liebe? Da geht vielleicht das Video „Love Age“ durch, das Carola Dertnig mit ihrer Großmutter gedreht hat: Die alte Dame erzählt von einem Liebestraum, und sie schaut am Nachmittag „Reich und Schön“. Darf sie das in ihrem Alter? Toni Schmale setzt mit „You Can’t have a Hot Lover, a Hot Job and a Hot Appartment All in the Same“ auf Zeichentrick und Ironie. Surreal und mit manch kleiner Boshaftigkeit geht Viktoria Tremmel das Thema Liebe an. Das ist alles mehr als zweischneidig.

Schön und gut. Man kriegt trotzdem die ZiB-Bilder aus Frankreich nicht aus dem Kopf, auch wenn die Schau im Künstlerhaus fein inszeniert ist. Nicole Six und Paul Petritsch haben ein Riesenpodest mit rotem Filz belegt. Betreten, beliegen erlaubt und erwünscht. Sogar mit Schuhen. Macht es Euch gemütlich, die Künstlerinnen und Künstler haben von der Liebesfront sehr viel weniger Grausames anzubieten als die Fernsehreporter.

Ein paar Ausnahmen gibt es wohl. Das quasi im luftleeren Raum, in einem vage definierten Raum und ohne Musik tanzende Paar, das uns Katharina Aigner vorführt, lasst einen mit seiner abgehobenen Intimität irgendwie bedrückt zurück. Sophie Calle hat ein Mail, mit dem ihr der Partner seine exklusive Liebe aufgekündigt hat, an 107 Frauen weitergeleitet und sie gefragt, wie sie wohl antworten würden: Die drei Beispiele (mit fotografischen Porträts) machten Lust auf den ganzen Zyklus.

Und schließlich eine ganz schlichte Graphik von Valie Export, „Das Schweißtuch der Gefühle“. Die Buchstaben LIEBE stehen da, und an einem jeden hängt ein Gewicht mit weiteren Buchstaben: ANGST. Das hat mehr suggestive Kraft als alles andere.

„Praxis der Liebe“, bis 7. Juli im Salzburger Künstlerhaus – www.salzburger-kunstverein.at
Bilder: Salzburger Kunstverein