Trommeltroll und Kontrabasspauke

BIENNALE / FINALE

18/03/13 Nach den Spuren der jeweiligen Vorgänger wurde in ganzen Konzertprogrammen oder einzelnen Werken bei der Salzburg Biennale gesucht. Hans Zender hat dagegen Spuren gelegt: Seine Variationen über die Diabelli-Variationen sind ein nicht nur unterhaltsames Spiel mit Zitat und Anspielung. Hans Zender und Helmut Lachenmann gehörte das Schlusswort bei der Salzburg Biennale 2013.

Von Heidemarie Klabacher

Mozart, Wagner, Strawinsky, Oper, Trompetenonzert, Streichquintett: Hans Zender spielt virtuos mit Motiven aus bekannten Werken, bedient sich der Kunst der Fuge ebenso wie der des Landlers, und lässt weder kontrapunktische Strenge noch Walzerseligkeit ins Kraut schießen. „33 Veränderungen über 33 Veränderungen. Eine komponierte Interpretation über Beethovens Diabelli-Variationen“: Der Länge des Titels entspricht der Länge des Werk (und durchaus auch der Unendlichkeit des Originals). Dennoch kriegte man am Sonntag (17.3.) bei der Österreichischen Erstaufführung im Großen Studio kaum genug von den changierenden Gratwanderungen zwischen klassischem und zeitgenössischen Sound – und den oft kaum festzumachenden Übergängen zwischen Bläserchoral und Schlagwerkcluster.

Das Ensemble Modern Orchestra unter der Leitung von Peter Hirsch brillierte nicht nur mit Zender-Beethoven-Diabelli, sondern auch mit Helmut Lachenmanns „Accanto – Musik für einen Klarinettisten mit Orchester“ aus 1976 in der Fassung für Ensemble aus 2006. Der Klarinettist war die Klarinettistin Nina Janßen-Deinzer, die die Lachenmann’schen Anforderungen an Spielen und Singen, Atmen, Husten und Prusten (alles gleichzeitig natürlich) virtuos bewältigte.

Diese beiden zeitgenössischen Werke, die „Originale“ aus der Klassik (eben die Diabelli Variationen und das Mozart Klarinettenkonzert) immer wieder für Augenblicke durchscheinen lassen, waren ein perfekter Schlusskommentar zur Biennlae, die ja unter dem Motto „Palimpsest“ gestanden hat.

Inhaltlich schienen sich (mir) im Laufe der drei Biennale-Wochenenden drei programmatische Linien abzuzeichnen: Die eine brachte Werke, in denen „Klangexperimente“ auf jeweils einer historischen Stufe stehen geblieben sind. Also Werke, die heute einen Blick zurück in die Musikgeschichte der letzten – sagen wir mal – dreißig Jahre ermöglichen. Ein Solo für Staubsauger (wie in Matthias Kauls imaginärem Vokal- und Instrumentaltheater „Kafkas Heidelbeeren“) hat natürlich immer großen Witz und wirkt umso komischer, je präziser der Perkussionist mit konzentriertem Gesichtsausdruck raschelnde Plastiksackerl in der Düse hin- und her bewegt. „Kafkas Heidelbeeren“ mit Staubsauger und Klangkochtopf ist freilich erst 2005 entstanden. Da wurde mit gängigen Mustern auf sicheren Erfolg gespielt.

Einen authentischen Rückblick ermöglichten dagegen die „Musikmaschinen“ der längst verstorbenen Architektin Claudine Brahem. Trommeltroll und Kontrabasspauke entstanden immerhin schon zwischen 1980 und 1990 und werden bis heute von ihrem Witwer, dem Percussionisten Jean-Pierre Drouet, bedient: Der Auftritt des launigen älteren Herren war einer der charmantesten Begegnungen auf dieser Biennale. Seine Beschwörungen und Kommentare auf Basis gemurmelter, geflüsterter oder rezitierter französischer Silben-Spielereien waren nicht nur "nett". Seine Performance hat ganze Assoziationsketten in Bewegung gesetzt. „Wiener Gruppe“, eh klar. Aber auch die „Oulipoten“ brachten sich in Erinnerung, diese Gruppe französischer Sprachspieler, die um 1960 entstanden ist... Sprachlich und musikalisch bewegte man sich auf dieser dramaturgischen Biennale-Linie also auf historischem Boden. Zeitlos unvergänglich.

Warum nur hat man nicht Otto Becks Klangmobile aus der Garage geholt? Diese sind – Aspekte 1991 - legendär in Salzburg und hätten nicht nur eine direkte Verbindung zu John Cage, sondern auch einen Link zwischen dem Musealen und dem Lebendigen in der Musikgeschichte der Gegenwart hergestellt. „Sonatas and Interludes“, der Klavierklassiker von John Cage, „funktioniert“ bei den Freaks fast schon so wie op. 111 oder D 960. Solche Klassiker der Moderne hatte die  Biennale 2013 ebenfalls einige im Programm. Was aber nicht weiter erwähnenswert ist, wo „heutzutage“ schon die Mozartwoche selbstverständlich Boulez, Staud oder Widmann bringt.

Wirklich spannend war die Biennale 2013 in jenen Konzerten, in denen aufgezeigt wurde, wie mit (vormals) „neuen“ Wegen der Klangerzeugung heute gearbeitet wird, wie musikalisches Ausdrucksrepertoire sich entwickelt und von Komponisten verschiedenster Generationen (und längst auch von Publikum) wie selbstverständlich „verarbeitet“ wird. Wie irgendwann einmal die Grenzen der Ton- und Taktarten aufgebrochen sind, sind auch einmal die Wege zur „Tonerzeugung“ auf den Instrumenten ins Rutschen geraten. Besonders erhellend waren dazu die von Heike Hoffmann in der Programmreihe „Focus“ präsentierten Klavierabende. Stumm angeschlagene Tasten die erst in ihren Obertönen zum Klingen kommen, wenn andere Tasten gespielt werden? Das sind keine historisch-musealen Spielereien. An solchen Stellen ließ sich Entwicklung in der Musikgeschichte eindrücklich quasi „live“ mitverfolgen, etwa als der Pianist Nicolas Hodges Stockhausen und Lachenmann spielte, und – quasi aus der Enkel- oder Großenkel-Generation – dazwischen ein Stück von Rebecca Saunders zur Uraufführung brachte.

Überhaupt Lachenmann! Die von ihm im Klarinettenkonzert geforderten Luftgeräusche, die gepressten gequetschten Töne sind rein "historisch" ein alter Hut, ein Effekt der ersten Stunde. Wie mit diesen inzwischen gängigen Mitteln aktuelle aufregend lebendige Musik gemacht wird – das war spannend mitzuerleben. Und unterhaltsam!

Zum Kommentar Kagels Kaktus
Bild: Biennale/Wolfgang Kirchner