Romeo und Julia in Mittelamerika
THEATER IM KUNSTQUARTIER / DIE VERLOBUNG IN ST. DOMINGO
10/03/16 Über Congo Hoango schreibt Heinrich von Kleist, er sei „ein fürchterlicher alter Neger“. Ist er wohl auch. Jeder Weiße, der ihm unterkommt, ist geliefert. Die schwarzafrikanischen Sklaven revoltieren gegen die französischen Landesherren. Ausgerechnet in Congos Haus sucht der junge Gustav Rettung...
Von Reinhard Kriechbaum
Haiti heißt das Land heute, und die Revolte im Jahr 1800 – da spielt Kleists Novelle „Die Verlobung in St. Domingo“ – brachte dem Land die Eigenständigkeit. Bei Kleist ist der Aufstand der Schwarzen die Folie für eine krass missglückende Liebesgeschichte. Gustav und das Mischlingsmädchen Toni entflammen füreinander, verloben sich heimlich. Congo, der „füchterliche alte Neger“, kehrt viel früher heim als erwartet. Tonis Finte – sie fesselt den Weißen, um den Schein zu wahren – wird von Gustav entscheidend missverstanden. Wie löst ein junger Mann der Kleist-Zeit den vermeintlichen Verrat an der Liebe? Gustav erschießt die Verlobte kurz entschlossen. Als ihm die wahre Sachlage erklärt wird, tötet er sich selbst.
Das Thomas Bernhard Institut der Universität Mozarteum hat Kleists Novelle aus dem Jahr 1811 (es ist sein letzter literarischer Text) auf die Bühne gebracht. Man spielt wirklich die Novelle und nicht eine dramatisierte Fassung: Bis auf geringfügige Kürzungen ist der auf die drei Schauspieler und zwei Schauspielerinnen verteilte Text komplett. Die Darsteller sprechen also quasi die Hintergrundinformationen der Geschichte mit und verkehren in indirekter Rede miteinander. Ein feines Stilmittel, das auch hilft, Distanz zu schaffen. Das ist durchaus nötig. Die Romeo-und-Julia-Geschichte aus dem fernen Lateinamerika ist ja doch ein sehr zeitgebundener Text.
Eine „Flüchtlingsgeschichte“ darin zu sehen, drängt sich nicht unmittelbar auf. Freilich: Über die unterschiedliche Hautfarbe wird ein paarmal gesprochen und darüber, ob man sie so einfach wegdiskutieren kann. Das Mädchen Toni als „Gesinnungsweiße“? Kann nur schief gehen.
Eher interessant ist die Geschichte insofern, als sie anschaulich zeigt: Wenn die Lage mal eskaliert ist, wenn Hass ungebremst aufeinander prallt, ist für Toleranz überhaupt kein Platz mehr.
Zuerst sitzt das Publikum, stehen auch die Schauspieler im Theater m Kunstquartier vor einer kahlen Bretterwand. Sie wird mit Vehemenz eingerissen. Über dem Trümmerfeld lässt Regisseur Maximilian Hanisch (es ist seine Diplominszenierung) ohne weitere Dekorationen, dafür mit umso höherer Imaginationskraft spielen. Auf der großen Spielfläche kann man sich all das, was Kleist schildert, bestens vorstellen. Alle Achtung, wie die fünfköpfige Crew – Hannah Jaitner, Florenze Schüssler, Fabian Felix Dott, Jonas Hackmann und Igor Karbus – mit der dann doch beachtlichen Textmenge umgeht: kraft- und temperamentvoll, bestens synchronisiert und sprechtechnisch auf einer Ebene, dass das Zuhören keine Anstrengung kostet, sondern pure Freude bereitet. Von der Jugendfrische kann der Text, der völlig zurecht nicht zum engeren literarischen Bildungskanon rechnet, nur profitieren.