Kriminal-Fondue am "Polizeiposchte"

SCHAUSPIELHAUS / DAS VERBRECHEN

09/03/10 Auf der Polizeiwache (Schwytzerdüütsch: "Polizeiposchte") nachts um halb drei: Der Griff des verschlafenen Beamten zum Telefonhörer war ein ausbaufähiger Sketch des Schweizer Kabarettisten Emil Steinberger, Anfang der achtziger Jahre. Fatal, dass man sich im Schauspielhaus jetzt ausgerechnet dran erinnert.

Von Reinhard Kriechbaum

Aber so ticken sie wohl, die Schweizer. Und erst die Schweizer Beamten. Und schon gar die Kriminalbeamten! Zuverlässig, dass einem angst und bang wird. Die einen suchen einen Mädchenmörder und glauben ihn in einem Hausierer gefunden zu haben. Der ist wehrlos gegen so viel schein-präzis argumentierte Vorverurteilung und hängt sich in der Zelle auf. Auf der anderen Seite Kommissar Matthäi: Der ahnt, dass der Mörder noch irgendwo frei herumläuft und macht sich ans Recherchieren, auch nachdem er den Polizeidienst quittiert hat. Schließlich hat er der Mutter des ermordeten Mädchens "Das Versprechen" (so heißt Dürrenmatts Roman) gegeben, dass der Mörder gefunden würde. Die Frau wäre mit dem toten Hausierer als mutmaßlichem Mörder zufrieden gewesen, aber Matthäi lässt nicht locker, er steigert sich hinein und wird schließlich zu gesellschaftlichen Außenseiter.

"Das Versprechen" ist ein starker Plot, zuletzt (2001) in einer Verfilmung mit Jack Nicholson in einer Regie von Sean Penn. Als Film war Dürrenmatts Stoff schon 1958 ein Knüller. Damals hieß die Story "Es geschah am helllichten Tag", Heinz Rühmann und Gert Fröbe waren dabei. Aber Dürrenmatt scheint mit dem Film damals nicht zufrieden gewesen sein, verfeinerte die (eigene) Geschichte, indem er sie zum Roman umarbeitete. Nun wird also wieder ehrgeizig zurück-dramatisiert.

Das hätte seine Bühnenberechtigung, wenn es wirklich charismatisch gespielt wäre. Im Schauspielhaus-Studio sieht man mit Darstellern vom Berner "Theater an der Effingerstraße" freilich nur eine Konversations-Tragödie mit Schweizer Temperament und dramaturgischer Fondue-Qualität. Es zieht sich. Wenn ein Kriminalist dem anderen erzählt, wofür ein lebender Köder an der Angel gut ist, da schaut man bloß auf die Uhr und denkt nicht an das Mädchen, das gerade als Lockvogel installiert wird. So geht es in vielen Szenen.

Nicht, dass schlecht gespielt würde: Das Theater an der Effingerstraße, mit dem man koproduzierte, ist eine Off-Bühne auf professionellem Niveau. Alle sind sorgsamst darauf bedacht, wirklich so seriös zu scheinen wie man sich in der Schweiz lautere Polizeiarbeit vorstellt. Mit Anstand schrauben sie sich durch Dürrenmatts an hölzernen Konjunktiv-Formulierungen reiche Sprache. Das ist faszinierend zu lesen, aber es taugt nicht für die Bühne.

Ein Schweizer "Polizeiposchte" ist eben nicht CSI Miami. Im Film mit Jack Nicholson war Kommissar Matthäi übrigens ein Detective Jerry Black. Vielleicht sind es ja nur solche Kleinigkeiten, die bei einer solchen Geschichte den Unterschied zwischen Faszination und gähnender Langeweile ausmachen.

Bilder: Theater Effingerstrasse // Severin Nowacki