Die Sadisten sind eigentlich auch Opfer

THEATER IM KUNSTQUARTIER

02/12/13 Robert Musil selbst verbrachte in seiner Jugend einige Zeit in einer militärischen Oberrealschule, hat die teils unmenschlichen Verhältnisse also selbst erfahren. Daraus ist sein erster Roman, „Die Verwirrung des Zöglings Törless“ (1906) entstanden.

Von Oliwia Blender

008Erfahrungen, die Musil er mit Manipulation, Gruppenzwang und seiner eigenen Emotionalität gemacht hatte, sind in den autobiographischen Text eingeflossen. Daraus hat man an der Abteilung Schauspiel und Regie der Mozarteum Universität (vor Kurzem umgetauft auf „Thomas-Bernhardt-Institut“) ein Stück geformt. Kai Ohrem führte Regie. Es gab am Wochenende (28., 29.11.) zwei Aufführungen im „Theater im KunstQuartier“ in der Bergstraße.

Vier Mozarteumsstudenten gestalten einen sehr kurzweiligen und aussagekräftigen Ausschnitt. In diesem geht es ebenso um die Ichfindung in der Pubertät, als auch um die gesellschaftlichen Strukturen im Internat, um Machtmissbrauch, bis hin zur (Homo)Sexualität und Sadismus.

Konkret geht es um die vier Zöglinge Reiting, Beineber, Basini und Törleß und deren Umgang mit den autoritären Gesellschaftsstrukturen und ihren eigenen Positionen eben darin. Rein äußerlich wirken die jungen Herren auf der weißen Guckkastenbühne „gleich“ und ohne signifikante Unterschiede: schwarze Hose, weißes Hemd – Schuluniform. Einzig Basini wirkt durch seine Körpersprache und Mimik empfindsamer und zerbrechlicher – somit schwächer als der Rest der Gruppe.

Es bestätigt sich, dass Basini im Gegensatz zu den Anderen aus einer sozial schwachen Familie kommt. Er hat dort nicht die Bildung, das väterliche Vorbild, das einheitliche Wertesystem und schon gar nicht die finanzielle Grundlage mit. Reiting und Beineberg nutzen seine Schwächen aus und „üben“ ihre Überlegenheit und Machtbesessenheit an ihm. Sie vertreten ein klares patriarchalisches, vermeintlich „aufgeklärtes“ Wertesystem: Macht resultiere aus Hierarchie, Moral und Bildung. Das sind die Schlagworte für ihre Ideologie.

Während anfangs zwischen Törleß und Basini noch eine innige Bindung besteht, löst auch diese sich auf, als sich Törleß dem Grupppenzwang unterwirft und sich gegen Basini und somit gegen seine eigenen Emotionen entscheidet. Psychische, wie auch physische Foltermethoden werden an dem schwachen Kollegen angewendet - unter dem Deckmantel der Selbstjustiz. Törleß flüchtet sich in die Intellektualität und umgibt sich mit dem mathematischen Rätsel der imaginären Zahlen.

In der Aufführung ist es trotz der ernsten Thematik gelungen, auch die Ironie und die Absurditäten, die im Text vorherrschen, heraus zu arbeiten. In Mimik und Gestik entstehen markante Rollenbilder. Ein rotes Handtuch ist die einzige Requisite. Mehr bedarf es nicht, um die Zuschauer die Grausamkeiten spüren zu lassen. Man erkennt, dass es sich bei allen vier Zöglingen gleichermaßen um Opfer im gesellschaftlichen Erziehungsapparat zum Ende des 19. Jahrhunderts hin handelt.

Bild: Thomas-Bernhard-Institut