Tränen als Schmiergelder für die Augen

SCHAUSPIELHAUS / KEIN LICHT

08/11/12 Manchmal atemlos, aber immer wieder souverän sind sie aufgetaucht aus den tsunamiartig daherdonnernden Sprachfluten der Elfriede Jelinek: Ulrike Arp, Harald Fröhlich, Sinikka Schubert und Christiane Warnecke wurden bei der Österreichischen Erstaufführung von „Kein Licht“ zurecht bejubelt. Regie führte Thomas Oliver Niehaus. Der Reaktorunfall in Fukushima ist das „Thema“ des jüngsten Theatertextes der Nobelpreisträgerin.

Von Heidemarie Klabacher

Es beginnt ganz harmlos. Als Theaterprobe. Drei Schauspielerinnen und ein Schauspieler, bereits in Kostüm und Maske (bodenständig bürgerlich bieder), warten in der Kulisse (zwei Lehnstühle vor einem Monumental-Kitsch-Gemälde mit tosendem Wasserfall und starrendem Fels) auf den Regisseur.

Die Dramaturgin bringt den Text. Man öffnet die verschlossenen Umschläge, beginnt zu blättern, erste Sätze zu murmeln und, langsam lauter werdend, vor sich hin zu sprechen. Im Zuschauerraum – der noch immer erhellt ist – hört man einzelne Satzfetzen: „Das Fremde in der Wiege, das da zu fauchen begonnen hat wie das Höllenfeuer, noch so klein, aber es wird alles haben wollen…“ Eine Fuge? So muss es sein, denn dieses „Fauchen“ wandert wie ein musikalisches Thema durch alle vier Stimmen.

Es ist zunächst ein Spiel mit dem Spiel, angesiedelt zwischen Kammermusik- und Schausspielprobe: Da sind die immer wieder wie kleine Fugen-Expositionen hintereinander gesprochenen und sich überlagernden Textpassagen. Da sind aber auch die konkreten Anspielungen auf Musik und Musizieren, die in ihrer Bedeutung aber ständig ins Abgründige kippen: „Ich spiele doch nur die zweite Geige, ich begleite dich, sehe aber noch nicht wohin.“ In winzigen Andeutungen, beiläufigen Blicken oder Gebärden, gelingt es dem Regisseur Thomas Oliver Niehaus an diesen Textstellen zugleich auch, Seitenhiebe auf Schauspieler-Eitelkeit und Primadonnen-Gehabe anzubringen. Witz und Ironie mit leichter Hand.

„Ich bin die Begleitung, aber von welchem Ereignis?“ Immer wieder stellt Elfriede Jelinek die Bedeutung von gängigen Formulierungen oder Sprachbildern auf den Kopf, lässt Sinngehalte wie im Kaleidoskop des Optikers oder in der Proberöhre des Chemikers neue Verbindungen miteinander eingehen: Da streichen dann die Bogen nicht länger über die Saiten der Geigen. Da werden vielmehr die, die für die Kunst brennen, von ihren eigenen Bogen ausgestrichen.

Und die Menschen hören sich selbst und einander nicht mehr. Man hört weder Töne noch Fragen, nicht die Antworten, nicht die Mahnungen: „Leider hören wir eben auch unser Spiel nicht, vielleicht ist das gar kein Spiel? Sonst hätten wir doch noch Spielraum, wenn es eins wäre. Den hätte man uns doch gegeben, oder? Dort würde man uns garantiert hören, oder?“ Zunächst scheint "Kein Licht" durchaus „allgemeine“ menschliche oder künstlerische Grundfragen zu diskutieren. Zunächst hält sich die Reaktorkatastrophe als Bedrohungsszenarium scheinbar noch im Hintergrund: „Da muß etwas in großer Menge austreten gehen, aber wir merken nicht, wohin es sein Wasser abschlägt.“

War irgendwann die Rede davon, „die Bedrohung in einen Scherz zu verwandeln“, scheint sich zugleich mit einem Decrescendo das temperamentvolle Allegretto in ein verhaltenes nachdenkliches Adagio zurückzuziehen, die Bedrohung näher zu rücken. Die musikalische Struktur des Textes, die Musikalität der Sprache: faszinierend. Regisseur Thomas Oliver Niehaus hat den Textblock, den die Autorin nur den Personen A und B in den Mund legt, auf vier Schauspieler verteilt. Ulrike Arp, Harald Fröhlich, Sinikka Schubert und Christiane Warnecke stellen sich dieser unglaublichen Herausforderung an Merkfähigkeit und Sprechtechnik mit bewundernswerter Ruhe und Souveränität.

Die Töne sind entstellt wie die Leichen – „man hat nicht mehr gesehen, ob das ein Ton war, nicht die Höhe, nicht den Wert“. Der arme  Ton wurde „angeblich in ein leerstehendes Gebäude in der Nachbarschaft gebracht, dort soll er nun erst mal bleiben, der Arme, allerdings darf kein Kontakt mit ihm stattfinden“. Die Anspielungen auf die Reaktorkatastrophe von Fukshima werden konkreter. Leider geht dieser grandios zwischen physischer und psychischer Katastrophenberichterstattung changierende Text irgendwann über in eine ziemlich ermüdende, weil kaum mehr verfremdete Anklage der Atomindustrie und ihres Zeitalters. Das kommt daher wie ein über-engagierter Studentenprotest.

Das Waldundfelsundwasserfallbild ist inzwischen in sich zusammengefallen und gibt auf der Bühne von Barbara Steiner den Blick frei auf ein großes, aber seichtes Kühlwasserbecken. Darin kniet, in einem Schutzanzug aus einem hellblauen Müllsack, die grandiose Sinikka Schubert, die die Hauptlast des Jelinek’schen Textmassivs zu tragen hat. Sie bewältigt den Riesenmonolog bravourös. Ihre Mitspieler schlüpfen unter feuerfeste Gesichtsmasken und in die Rolle des kommentierenden griechischen Chores. Die Menschen sind längst keine Menschen mehr, sondern nur noch Zerfalls- und Zufallsprodukte ihrer eigenen Überproduktivität. Das ist alles sehr anspielungsreich und auch brillant umgesetzt. Dennoch wird man nach zwei Stunden ohne Pause irgendwann ungeduldig mit der immer weniger subtil daherkommenden Anklage.

Die Jelinek soll ja den Regisseurinnen und Regisseuren freie Hand lassen beim Umgang mit ihren Theatertexten. Ein paar Striche hätten vielleicht dazu beigetragen, die Spannung der insgesamt überaus packenden Produktion bis zum Ende aufrecht zu halten. Kein Licht? Mehr Licht? Manche meinen ja auch, dass er einfach „Mehr Milch“ gesagt hat, der sterbende Goethe. Oder vielleicht ist die Milch der frommen Denkungsart ja tatsächlich zur „leuchtenden Milch der Undenkbarkeitsart“ versauert. Wir werden es nicht erfahren. Wir können einander ja nicht länger hören.

„Kein Licht“ – Aufführungen bis 21. November – www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Schauspielhaus Salzburg / Michael Klimt