Lauter Seelen(ver)käufer

SCHAUSPIELHAUS / HYSTERIKON

09/03/12 Der Stücktitel „Hysterikon“ suggeriert eine Tragödie griechischen – antik-griechischen – Ausmaßes. Ingrid Lausund schildert aber bloß den täglichen Wahnsinn vor den Supermarkregalen. Und der ist arg genug.

Von Reinhard Kriechbaum

Gerade hat der Europark stolz gemeldet: zum vierzehnten Mal in Folge ein Umsatzplus, im Tagesdurchschnitt 32.000 Besucher. Nimmt man die Beobachtungen von Ingrid Lausund, dann müsste man die Meldung in die Rubrik Katastrophen einreihen. Die 1965 geborene deutsche Stückeschreiberin und Regisseurin ist eine genaue Beobachterin. Sie riskiert einen analytischen Blick hinter die Fassade der Kauf- und Genussräusche und entdeckt auffallend viele gestörte Typen.

Leute im Einkaufs- und Freizeitstress geistern durch die im deutschsprachigen Theater derzeit sehr gefragten Stücke von Ingrid Lausund. Das sieht auf den ersten Blick recht normal aus, aber wenn sie auch nur den Mund aufmachen, tun sich sogleich Abgründe auf. Sie alle haben einen imaginären Rucksack um, gefüllt mit psychischen Alt- und Akutlasten. In „Hysterikon“ spielt sich alles vor Einkaufsregalen ab. Die Waren interessieren die Handelnden nur am Rande. Johannes Stockinger hat das Bühnenbild – eine Regalreihe vorwiegend mit neutralen Gemäßen und Gebinden – geschaffen. Das zeigt schon, dass es völlig wurscht ist, was die Leute kaufen.

In Wahrheit sind sie ausschließlich mit ihren ramponierten Seelen, mit unerfüllten Erwartungen ans Leben und dergleichen Unbill beschäftigt. Ein Pärchen hat sich auseinandergelebt, eine junge Frau sucht nach ihrem Platz in einer Welt, von der sie nur sehr verschwommene Vorstellungen hat. Einer älteren Frau rutschen angesichts einer Dunkelhäutigen ungewollt all ihre Ressentiments raus. Einer der Einkaufenden hat ein Beil in der Hand und fragt nach Schwefelsäure. Das macht ihn höchst verdächtig und er gibt auch gleich zu, dass er sich seines Chefs entledigen will, endgültig. Im Vergleich dazu ist ein kleiner Seitensprung im gläsernen Tiefkühlregal kaum der Rede wert.

Marion Hackl hat Regie geführt und lässt das Grüppchen von Einkaufs-Neurotikern so normal wie nur möglich daherkommen: Isabel Berghout, Thomas Enzi, Christoph Grieser, Ute Hamm, Elke Hartmann und Constanze Passin. Ihnen allen könnte man bei Billa, Hofer oder Spar begegnen, sie würden nicht auffallen. Aber die Figuren in dem Stück reden gerne und viel, und so entlarven sie sich augenblicklich. Sie tun und sagen Dinge, die besser ungetan und ungesagt blieben. Dokumentationen von Elizabeth T. Spira kommen einem in den Sinn, angesichts der locker gefügten Szenen auch Loriots Spießbürger-Shows.

Spiras und Loriots Humor zeichnet sich freilich durch mehr Distanz zur Sache aus, wogegen Ingrid Lausund gleich alles Unheil unserer Welt hineinpackt. Obwohl „Hysterikon“ dezidiert eine schräge Humoreske sein will, geht die Sache zwischen Ironie und Ernst bestenfalls remis aus.

Dafür können die Schauspieler nichts, sie machen das Beste aus dem Stück. Auch Markus Marotte, der Kassier im Supermarkt, der gelegentlich zum Seelen(ver)käufer mutiert. Es bleibt also nicht nur bei galligen Bemerkungen. Am Ende erfahren wir, dass auch er sein Binkerl am Rücken trägt. Auch seine Weltscheibe im beachtlichen Durchmesser von fünf U-Bahn-Stationen ist ein wenig zu klein geraten, um darauf Erfüllung zu finden.

Aufführungen bis 19. April im Schauspielhaus-Studio - www.schauspielhaus-salzburg.at
Bilder: Eva-Maria Griese