Kannibalismus der Liebe

THEATER IN DER DRUCKEREI

06/03/12 Zwischen Eifersucht, Angst, Fremd- und Selbstbestimmung, Manipulation, völliger Selbstaufgabe und Hass sieht sich das Liebespaar Tekla und Dolf hingeworfen und konstatiert richtig, dass „die Zwietracht von außen kommt, wie der Wind.“

Von Magdalena Stieb

In der Diplominszenierung von René Braun an der Abteilung Schauspiel und Regie des Mozarteums fand Strindbergs Einakter „Gläubiger“ am Freitag (2.3.) seinen Weg auf die Bühne des Theaters in der Druckerei und zeugte dort von der Abgründigkeit von Lieben und Geliebtwerden.

Jene Zwietracht tritt in der Figur des von Teklas Exmann Gustaf (Paul Schaeffer) in die scheinbar heile – tatsächlich aber nur mehr von einem „verwelkten Feigenblatt“ bedeckte - Beziehung des Künstlerpaares.

Dem jetzigen Ehemann Teklas unbekannt, erschüttert Gustaf in intriganter Spielerei die nur vordergründige Selbstsicherheit Dolfs und löst eine unvermeidbare Erosion aus: Konnten sich zuvor Tekla (Theresa Palfi) und Dolf (Johannes Lange) in ihrer mit Geschwisterliebe kokettierenden Unschuld und Hingabe gefallen, so stößt Gustaf den Ehemann nun auf seine männlichen „Pflichten“, die er bislang verabsäumt und so seine Kunst und sein Leben aufs Spiel gesetzt hat. „Wir statt ich“ könne nicht das Glück und die Erfüllung für Dolf sein, ein „Atheist mit Aberglauben an die Frau“ könne nur der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Unter der Regie von René Braun, der sich ebenso für Bühne und Kostüm verantwortlich zeigt, soll nun der Einakter Strindbergs von 1888 zu einer Zeitlosigkeit gelangen, die dem Stück und seiner Thematik längst inhärent ist. Die Struktur des Einakters aufdröselnd, verschachtelt Braun einzelne Szenen zeitlich versetzt ineinander und versucht so, den Moment der schrecklichen Epiphanie – als Tekla erkennt, dass Gustaf ihren Ehemann verführt – zu neuer, vollerer Wirkung zu bringen. Dabei gelangt der Tod Dolfs (bei Strindberg: Adolf) zu einer merkwürdigen Ästhetisierung und der Künstler scheint endlich in seine ureigenste Sphäre des künstlerischen Schaffens zurückversetzt.

Wenn auch einige Mittel der Regie nicht vollkommen motiviert wirken, so konnten die Elemente des Psychogramms der beiden Eheleute (unter geringer bis stärkerer Abwandlung und Modernisierung des Originals) besonders herausgearbeitet werden: „Du siehst mir hinter die Augenlider“, bemerkt Tekla etwas furchtsam gegenüber Dolf. In den ununterbrochenen Verstrickungen von Angst und Eifersucht, an denen die Beziehung letztlich kranken muss, begeben sich „Brüderchen“ Dolf und Tekla in eine Abhängigkeit, die in gegenseitiger „Erziehung“ und regelrechter Verschmelzung mündet: ‚Ich‘ wird zu ‚wir‘: „Es ist merkwürdig, daß dieses Weib in meinem Körper ist, wie ich in ihrem!“ Diese Vereinigung nimmt schlussendlich pathologische Züge an, wenn in der Erkenntnis der Unvereinbarkeit beider Individuen und der Beschränktheit seiner Frau Dolf wutentbrannt und von einem epileptischen Krampf niedergeworfen nicht verstehen kann, wie Tekla den „Akkord“ seiner emotionalen Entäußerung „in einen Ton auflösen“ kann.

Die gegenseitige Instrumentalisierung, die jeden Partner zum „Produkt“ des anderen macht, und deren Verdrängung finden nicht zuletzt Ausdruck in der Hinwendung Dolfs zur Photographie. In der Abwandlung des Originals, in dem Adolf sich der Skulptur widmet, sieht Dolf nun nicht mehr in der Malerei die entsprechende Ausdrucksmöglichkeit, sondern kann nur auf dem Photo den unverfälschten Augenblick festhalten. Pervertiert wird diese künstlerische Idee, als das verzweifelte Liebespaar in gestellten, komischen Posen der abwechselnden Unterwerfung das von ihnen Verdrängte imitiert.

Gerade jene fruchtbaren dramaturgischen Erweiterungen von Strindbergs dramatischem Stück mussten zeitweise im Gelächter (!) des Publikums untergehen, dessen Auslöser meist nicht nachvollziehbar waren. Trotz der etwas irritierenden Geräuschkulisse im Zuschauerraum bewies die

Inszenierung vor allem, mit welcher unfassbaren Modernität Strindberg weit vor Sigmund Freud neben psychologischen Untiefen auch beeindruckend aktuelle Facetten von eingefahrenen Geschlechterbildern in seinen Stücken aufzuspüren wusste und wie lesens- und spielenswert der schwedische Autor geblieben ist.

"Gläubiger" - weitere Aufführungen im Theater in der Druckerei (Kunstquartier in der Bergstraße)  7.,8.,9. und 10. März, jeweils um 20 Uhr - schauspiel.moz.ac.at
Bild: Uni Moz