Ein naiver Aufrechter im Kunstbetrieb?

LANDESTHEATER / MdM MÖNCHSBERG / NIPPLEJESUS

02/03/12 Nick Hornby lässt in „Nipplejesus“ einen Museumswärter über Kunst und Kunstbetrieb räsonieren: Sebastian Fischer und ein junges Regieteam des Landestheaters entwickeln daraus im MdM Mönchsberg ein hoch spannendes Psychogramm eines plötzlich Beteiligten.

Von Harald Gschwandtner

altDas Vokabular der Kunstbetrachtung kennt Dave nur grob von Schulausflügen, vom Hörensagen. Aus Rücksicht auf seine junge Familie hat er seinen Job als Türsteher in einem Club gekündigt und findet sich wenig später als Bewacher eines Kunstwerks im Museum wieder. Was ihn dort in einem separaten Raum für ein Objekt „von kontroversem Charakter“ erwartet, kann er anfangs schwer einordnen. Aus der Ferne ein Bild Jesu am Kreuze, aus der unmittelbaren Nähe eine Collage aus Frauenbrüsten: Pornographisches Material fügt sich zum Heiland. Wenigstens sei es nicht langweilig, befindet er.

Daves Bewacherposition lässt ihn in der Folge das Panorama möglicher Reaktionen auf die blasphemische Provokation erleben. Die Begegnung mit der jungen Künstlerin – also entgegen seiner Erwartung doch kein perverser alter Sack – stärkt die seltsame Empathie für das kontroverse Objekt. In Unkenntnis der Spielregeln des Kunstbetriebs ist er zwischenzeitlich überzeugt, auf der Seite der Guten zu stehen, als Beschützer eine wichtige Rolle zu spielen. Die Verteidigung der Steilvorlage für die öffentliche Erregung wird ihm zu Aufgabe und Berufung. Er entwickelt Sympathie für das Gemachtsein der Kunst, für ihre handwerkliche Komponente ebenso wie für deren theoretische Apologie gegen religiöse Eiferer („Die Religiösen, alles Bekloppte“) und billigen Populismus.

Die provozierte und kalkulierte Zerstörung des Bildes, die als Videoinstallation mit dem Titel „Intoleranz“ erneut zum künstlerischen Objekt wird, macht seine gerade erst bezogene Position freilich obsolet. Ohne von den Begriffen eines selbstreferentiellen Betriebs angekränkelt zu sein, stellt der arglose Dave nun scheinbar naive Fragen an ein abgekartetes Spiel. Gerade weil er dafür nicht die Floskeln konservativer Kunstkritik aufbietet, sondern aus einer im Grunde freundlichen Haltung heraus spricht, erscheint er zusehends als letzter Aufrechter in so seltsamen wie vorhersehbaren Scharmützeln im künstlerischen Feld.

Das Faszinierende an Hornbys Stück ist jedoch, dass es im Grunde gar nicht so sehr um die Dynamiken skandalträchtiger Kunstinszenierungen geht. Die Reflexe gegenwärtiger Polemiken wahlweise gegen die Kunst oder deren Verächter werden im Museum der Moderne wie nebenbei erzählt. Die Stärke von „Nipplejesus“ liegt darin, nie plump ideologiekritisch Stellung in dieser Kunstfehde zu beziehen. Der Museumswärter als Figur eines Spiels, dessen Regeln er erst allmählich zu verstehen beginnt, bleibt im Fokus.

Sebastian Fischer trägt das Einpersonenstück, seine Spielfreude sucht in der Salzburger Theaterlandschaft ihresgleichen. Erregung und Nachdenklichkeit, Komik und ernst gemeinte Verblüffung über ihm fremde Sozialformen und Redeweisen sind in diesem Porträt fein austariert, wirken nie aufgesetzt oder überprononciert. Dabei ist das Setting gefinkelt: Wo das Kostüm in der gängigen Museumswärtertracht mit leicht subversivem Schuhwerk besteht (Ausstattung: Laura Immler), kaum ein Beiwerk die Aufmerksamkeit des Publikums abschweifen lässt, ist der Soloakteur in einer Weise gefragt, die viele Fallstricke böte. Doch Fischer nutzt den Freiraum zu virtuoser Charakterzeichnung, macht den siebzigminütigen Einakter zu einem kurzweiligen Vergnügen.

Die auf das Wesentliche konzentrierte und gerade darum so plausible Inszenierung (Astrid Großgasteiger) macht sich die Möglichkeiten des Museumsraums als Spielstätte perfekt zunutze. Ein direktes und überzeugendes Auswärtsspiel des Landestheaters, das Raum und Zeit lässt für feine Schattierungen: Theatre as it should be.

Aufführungen bis 29. März im Museum der Moderne - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater /