Todesreigen zwischen den Kriegen

LANDESTHEATER / KRIEG DER TRÄUME

05/02/18 Hingerichtet 1947: Jüngster Unteroffizier des deutschen Heeres dann KZ-Lagerleiter von Auschwitz. Verstorben 1987: Chansoniere und Stummfilmdiva von Goebbels geächtet, von Hitler rehabilitiert. Erschossen 1936: Obermaat der deutschen Kriegsmarine und Revolutionär. Verstorben 1983: Französische Anarchistin und frühe Umweltaktivistin.

Von Heidemarie Klabacher

Kindersoldatin, russische Kosakin, Kämpferin gegen die Rote Armee, von den Kommunisten zum Tode verurteilt, kann in die USA fliehen und besiegt ihre Kriegstraumata durch den Tanz: Das Schicksal von Marina Yurlowa, 1900 bis 1984 – bewegt ganz besonders. Die Produktion „Der Kreig der Träume“, eine Uraufführung im Landestheater, erzählt in revueartig ineinander verflochtenen Szenen die Lebensgeschichten historischer Personen zwischen den Weltkriegen: Darunter sind spätere Nazis und einige ihrer markantesten Anhängerinnen, aber auch Revolutionärinnen und Anarchistinnen oder der spätere Ho Chí Minh, der als selbsternannter Delegierter für Vietnam an der Konferenz von Versailles teilgenommen und das Ende des Vietnamkrieges nicht mehr erlebt hat.

Inhaltlich ist der aus Schnipsel der Lebensgeschichten von „guten“ und „bösen“ historischen Persönlichkeiten geflochtene Reigen spannend und bewegend - wenn auch ein wenig Abstraktion und emotionale Distanz der simplen Bebilderung und Nacherzählung gut getan hätten.

Dass Schwarz und Weiß als historischen Dimensionen zu wenig sind, dass „gut“ zu ganz besonders „böse“ werden kann, zeigt etwa die Lebensgeschichte von Rodolf Höss, dem jüngsten Unteroffizier des deutschen Heeres im 1. Weltkrieg, der die „Schande“ der Versailler Verträge nicht ertragen konnte, früh in die NSDAP eintrat, als KZ-Lagerleiter von Auschwitz und schließlich als zum Tod verurteilter Kriegsverbrecher endete.

Packend sind die Schicksale der vielen namhaften Frauen, die durch dieses Projekt ins Bewusstsein gerückt werden – von der Sängerin und Stummfilmdiva Pola Negri über die erst 2004 verstorbene Edith Wellspacher, zunächst eine der ersten weiblichen Ärztinnen, später Weltreisende und Künstlerin, bis hin zur glühenden hochadeligen Hitler-Verehrerin aus England Unity Mitford…

Die schauspielerische Umsetzung, besonders die gut gemeinten Spielszenen auf den Schlachtfeldern - auf denen gerne im Chor gesprochen wird - sind auf die Dauer des langen Abends eher mühsam.

In Summe aber ergeben die streiflichtartigen Szenen aus ineinander verschachtelten Lebensgeschichten eine informationsreiche und farbige Geschichtsstunde.

Zusammengehalten wird der buntgraue Abend von einer Kino-Situation: Die erfundene Figur Lubitsch – angelehnt an den historischen Stummfilmregisseur Ernst Lubitsch 1892 bis 1947 – lässt die Szenen in seinem eigenen zerstören Kino vor seinem inneren Auge ablaufe. Er spielt immer wieder in die Lebensgeschichten der Figuren hinein, sei es als Helfer, Gewissen oder auch realer Akteur, wie im Falle der Sängerin und Schauspielerin Pola Negr, mit der der historische Lubitsch gedreht hat.

„Krieg der Träume“ feierte am Sonntag (4.2.) seine Uraufführung im Landestheater. Zugrunde liegt ausnahmsweise kein dramatisierter Roman, sondern eine großangelegte Fernsehserie. „Krieg der Träume“ wurde aus Anlass des Gedenkjahres 2018 von in ARTE, in der ARD, im ORF, in der BBC und vielen anderen europäischen Fernsehanstalten gemeinsam produziert und wird ab Ende September europaweit ausgestrahlt werden.

Menschen der Zwischenkriegszeit aus Frankreich, Deutschland, Italien, Großbritannien, Österreich, Schweden, Polen und der Sowjetunion sind denn auch Figuren in der Doku-Serie, wie auf dem Theater. Beide basieren auf historischen Tagebuchaufzeichnungen, Briefen oder Memoiren. Immer wieder wird in der Theaterfassung von Christoph Biermeier Lyrik zitiert, besonders vom behäbigen Lubitsch des Christoph Wieschke.

Regie im Landestheater führte Christoph Biermeier, der das Stück auf der Basis der Drehbücher von Gunnar Dedio verfasst hat. José Luna, ein langjähriger Partner Biermeiers, schuf die Ausstattung, die mit wenigen klug eingesetzten Versatzstücken immer wieder eine Anmutung von Opulenz zeigt. Für die Choreographie zeichnet Andrea Heil. Getanzt wird etwa in den anrüchigen Bars der Zwischenkriegszeit aber auch im Seziersaal. Höhepunkte des Gesamtprojektes sind – durch ihre distanzierende bizarre Abstraktion – die leitmotivischen Auftritte des unheimlichen hervorragend tanzenden „Todesengels“ von Gregor Schulz im Getümmel der Schlachtfelder oder Transvestiten-Bars.

Krieg der Träume – Aufführungen bis 4. April – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Anna-Maria Löffelberger