Aus Zuschauern werden Schöffen

LANDESTHEATER / TERROR

05/02/17 Nun ist Ferdinand von Schirachs Stück, das im Vorjahr von vielen Bühnen aufgeführt wurde und in einer Fernsehversion ein Millionenpublikum erreichte, auch in Salzburg angekommen. Am Samstag (4.3.) war Premiere im Landestheater.

Von Werner Thuswaldner

Das Licht im Zuschauerraum geht nicht aus, denn in der Gerichtsverhandlung, die auf der Bühne vonstattengeht, sollen die Theaterbesucher am Schluss mitwirken. Sie sind gern dazu bereit. Viele lieben Mitmachtheater und fühlen sich ernst genommen. In Salzburg fiel die Entscheidung bei weitem zugunsten des Luftwaffen-Majors Lars Koch. Er wurde freigesprochen.

Der – fiktive – Fall ist heikel. Der Major, der in einem Eurofighter saß, hat 164 Passagiere eines Zivilflugzeugs in den Tod geschickt. Der Terrorist, der die Maschine gekapert hat, hätte sie sonst in die mit 70.000 Besuchern voll besetzte Münchner Allianz-Arena gesteuert worden wäre.

Der Major handelte „eigenmächtig“, kein Gesetz deckte seine Tat, sondern folgte der Aufrechnung: 164 Tote gegen 70.000 Opfer. Er ließ sich also vom „gesunden Menschenverstand“ leiten. Darf eine solche Rechnung, die das Gesetz bei Seite lässt, angestellt werden? Die Aufführung wirft aber auch noch andere Fragen auf. Beispielsweise warum die Räumung des Stadions unterlassen worden war, wo die Zeit gereicht hätte? Könnte der Grund gewesen sein, dass die Militärs nicht in der Lage waren, sich zu koordinieren? Eine weitere Frage, die das Stück auslöste, betrifft die Urteilsfindung. Sollen in Zukunft Gerichtsentscheidungen durch massenweise Beteiligung anonymer Laienrichter herbeigeführt werden? Der Autor selbst erkannte im Nachhinein, dass er in diesem Punkt zu weit gegangen war.

Stoff zum Nachdenken und für Diskussionen bietet das Stück allemal. Die israelische Regisseurin Dedi Baron entschied sich für einen sachlich-schlichten Zugang. Es wird nicht viel Theater gemacht, sondern viel argumentiert. Verbal tut sich viel, viel Bewegung gibt es aber nicht. Nur hie und da dürfen sich die Beteiligten die Füße vertreten. Eva Musils Ausstattung, reduziert auf das Nötigste, Stühle, Tische, entspricht dieser Intention. So kostengünstig war ein Bühnenbild schon lang nicht.

Christoph Wieschke agiert als Richter so, als wäre dies schon immer sein Beruf gewesen, meist beschwichtigend und ohne vom üblichen Jargon abzuweichen. Gregor Schleuning zeichnet den Angeklagten als jungen, ein wenig blässlichen Mann mit musterhafter Karriere in der Bundeswehr, maßlos überfordert in einer ungeheuerlichen Stresssituation. Julienne Pfeil vertritt die Anklage zurückhaltend und anhand anschaulicher Beispiele. Sascha Oskar Weis lässt als Verteidiger eine Spur Selbstgefälligkeit einfließen. Wie jemandes Selbstsicherheit ins Wanken gerät, führt eindrucksvoll Georg Clementi vor, der als hochgestellter Militär Auskunft geben muss. Eine gehörige Portion Emotionen steuert Nikola Rudle in der Rolle einer Frau bei, die ihren Mann beim Flugzeugabsturz verloren hat. Kein unbefriedigender Abend, aber Theater mit höherem literarischen Anspruch ist auch schön.

Aufführungen bis 19. April – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Salzburger Landestheater / Anna-Maria Löffelberger