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Im Fluge

WINTERFEST / THE 7 FINGERS

28/11/13 Ob Menschen oder Ziegelsteine über die Bühne gepfeffert  werden – es ist immer einer da, sie aufzufangen. Die acht Mitglieder der Truppe „The 7 Fingers“ folgen einer ausgeklügelten temporeichen Choreographie, scheinen zusammen weit mehr als 16 Arme zu haben – und eher zu fliegen oder zu schweben, als sich auf gemeinhin übliche Weise zu bewegen.

Von Heidemarie Klabacher

437„Sequence 8“ heißt ganz prosaisch die ebenso temporeiche wie poetische Produktion der kanadischen Truppe „The 7 Fingers“ mit der am Mittwoch (27.11.) das 13. Winterfest im Volksgarten eröffnet wurde.

Wie in einer guten alten Ouvertüre fegen die zwei Artistinnen und die sechs Artisten zunächst einmal scheinbar wild chaotisch über die Bühne, erstarren für Augenblicke in Konstellationen und Bildern, die - falls das Tempo es zulässt - in den einzelnen Abschnitten des durchchoreografierten Abends später wie Leitmotive wieder entdeckt werden können. Allein daraus ergeben sich kleine und kleinste Déjà vu-Erlebnisse, die die Raum-Zeit-Konstante subtil ins wanken bringen.

Dass inmitten der sich ständig überstürzenden Ereignisse immer wieder einmal einer der Darsteller plötzlich eine kleine depressive Verstimmung zu entwickeln scheint und am Rande des Trubels getröstet werden muss, überhöht auch in dieser Produktion das Phänomen „Zirkus“ zum Bild des Lebes „an sich“: ein Anspruch des Nouveau Cirque, dem die Truppen, die Georg Daxner Jahr für Jahr in den Volksgarten zu locken weiß, auf immer wieder überraschende und bewegende Weise gerecht werden.

436Ja und dann machen sich diese wundersamen jungen Leute, frisch von der berühmten National Circus School Montréal, auch noch über sich selbst lustig! Verstricken sich etwa in eine wirre Diskussion über die grundlegende existentielle Bedeutung der „Botschaft“ ihrer (virtuosen) Tetterboard-Nummer oder über die dringend notwendige Anbringung einer Markierung, die exakt den Punkt festlegt, an dem der Artist lauthals die dringend notwendige Anbringung einer Markierung einfordern soll... Es ist einfach urkomisch wenn plötzlich – etwa aus einer energiegeladenen Trapeznummer oder einer tänzerischen Kampfszene heraus – einer der Burschen zickig wird und zu philosophieren beginnt.

An diesen bizarren kleinen Szenen, Moderationen oder Conferencen in charmantem englisch-französisch-deutschem Mischidiom könnte sich so mancher Kabarettist ein Beispiel nehmen, der glaubt, der Realität mit Mitteln der Realität eins auswischen zu können.

438Ja und dann machen sich diese frechen jungen Leute auch noch über die Medien lustig, über Interviewer und Talkshow-Master und Publikums-Shows überhaupt. Wenn das Publikum im Theaterzelt im Volksgarten von den absurden Fragen sich korrekt für die absurdeste Antwort entscheidet, muss die hoch oben am Ende der Stange angebrachte Glocke geläutet werden. Auf wie viele Weisen ein Lebewesen ohne Flügel völlig schwerelos eine vertikale Stange hinauf tanzen kann, ist überwältigend.

„Drop and just let go“ heißt es in dem Song, der zur atemberaubenden Jonglage-Nummer mit federleichten Ziegelsteinen erklingt. Auch in dieser Nummer kommt zur virtuosen Artistik noch jene Prise subtiler Ironie. Eine Nuance, wie sie in all den Winterfest-Jahren bisher noch nie so hauchfein spürbar war. Ein weiterer spannender und natürlich unterhaltsamer Aspekt des Nouveau Cirque.

435Durch den Reifen springen, das machten im Zirkus früher (mehr oder weniger gern) die Löwen. The 7 Fingers springen selber, hechten freilich nicht nur mit dem Kopf voran durchs Rund, sondern nehmen den Reifen gerne auch einmal im Laufschritt. Das erinnert an Hürdenlauf. Aber das Hindernis ist hier ein Nadelöhr in Mannshöhe angebracht auf einer schwankenden Konstruktion.

Ein Reifen – diesmal am Seil von der Decke herab hängend – ist das Material für eine atemberaubende Trapeznummer, bei der die Artistin mit Seil und Reifen zu einer wirbelnden Einheit zu verschmelzen scheint.

Wir wollen sie einzeln in die Manege rufen: Eric Bates, Ugo Dario, Colin Davis, Devin Henderson, Alexandra Royer, Maxim Laurin, Camille Legris und Tristan Nielsen schenken dem Publikum beim Winterfest gut neunzig Minuten Staunen, die viel zu schnell – nämlich im Fluge – vergehen.

Am Freitag (29.11.) steigt die nächste Premiere beim Winterfest - die Soloperformance „L’homme cirque“ von David Dimitri - www.winterfest.at
Bilder: www.winterfest.at ; Les 7 doigts de la Main / Lionel Montagnier / Sylvie Ann Paré

 

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