Treue in Orient und Okzident

LANDESTHEATER / DIE PILGER VON MEKKA

28/10/13 Immer diese Opern mit Türken als bösem Buben! In Amerikas Football-Stadien dürfen die Teams nicht länger „Rothaut“ oder so heißen - und auf Europas Opern-Bühnen sind noch immer die Osmanen die Bösen. Aufarbeiten! Auch wenn „seinerzeit“ die Türken vor Wien und nicht die Kakanier vor Istanbul standen.

Von Heidemarie Klabacher

434Politisch korrekt hin oder her. Es ist eine rundum hinreißende „Türkenoper“, die am Sonntag (27.10.) im Landestheater Premiere hatte. Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Adrian Kelly war mit den „Pilgern von Mekka“  wieder einmal in Höchstform unterwegs und „klangredete“, als ob es seit seiner Gründung nie etwas anderes getan hätte: strahlend im Streicher-, schwelgend im Bläserklang, brillant markant in der Phrasierung, schwungvoll und dynamisch in der musikalischen Grundhaltung. Eine ideale – wenn auch keineswegs immer ganz leise – Basis für die hervorragenden Sängerinnen und Sänger. Auch der Rahmen ist stilvoll und versetzt mit klug eingesetztem Anschauungsmaterial direkt an die Ufer des Nils.

Der italienische Regisseur Jacopo Spirei hat die Erlebnisse der buntgemischten Pilgergruppe in den Hafen von Kairo und auf das Luxusdeck eines Nil-Kreuzfahrtsschiffes der Stummfilmzeit verlegt. Die Bühne von Nikolaus Webern und die Kostüme von Bettina Richter tragen viel zur Atmosphäre bei.

435Christoph Willibald Glucks Opéra comique „Die Pilger von Mekka“ gehört zu den ersten „Türkenopern“, jenem Genre, mit dem die ganz real-politische Bedrohung durch die Türken im Nachhinein folkloristisch verarbeitet wurde. „Die Pilger von Mekka“ war dabei nicht nur einer der ersten, sondern auch eine der erfolgreichsten dieser „Türkenopern“. Sie wurde zu Lebzeiten des Komponisten auf allen großen Opernbühnen in Europa gespielt und gefeiert. Nicht zu unrecht. Für die Neuproduktion der Opéra comique (Uraufführung 1764 am Wiener Burgtheater) im Salzburger Landestheater wurde eine neue deutsche Dialogfassung in Auftrag gegeben: Der junge Autor Jakob Nolte, der im Frühjahr 2013 mit seinem Einakter „Agnes“ auf sich aufmerksam gemacht hat, hat flott pointierte Dialoge geschrieben. Gesprochen wird also Deutsch, gesungen Französisch.

438Die „Story“ ist – wie viele andere Opernlibretti auch – vernachlässigbar: Ein Prinz verliebt sich in eine Prinzessin, die einem anderen versprochen ist. Man plant die Flucht zu Schiff, doch der Kapitän, der die Prinzessin außer Landes bringen soll, ist ein Pirat und Sklavenhändler. Zurückbleibt ein trostloser Prinz, der – und hier setzt die Oper ein - auf der Suche nach der Geliebten bereits seit zwei Jahren Länder und Meere durchstreift. „Che farò...“ könnte - wie Orpheus - auch Ali, der Prinz von Basra singen. Doch Gluck hat dem Melancholiker einen eigenen Reigen melodienreicher Klagearien geschrieben.

Sergey Romanovsky singt die Rolle des Prinzen von Basra mit dem äußeren Gehabe eines Snobs. Sein weich timbrierter Tenor gewann bei der Premiere nach der ein wenig angespannt klingenden Auftrittsarie genau die Ruhe, die seine Stimme zur Entfaltung ihrer vielen warmen Klangfarben braucht. Prinz Ali wird von mehreren Sirenen umgarnt, eine Liebesprobe, natürlich.

437Und selbst die Abfuhren, die Sergey Romanovsky den Damen erteilen muss, klingen wie schmachtende Ständchen. „So schmeichelhaft wurde ich noch selten gedemütigt“, stellt eine der Abgewiesenen fest. Emily Righter als Dardané ist eine strahlend selbstbewusste Erscheinung, stimmlich ebenso souverän wie darstellerisch. Ines Reinhardt als Amine ist die Femmé fatale unter den Vertrauten der Prinzessin: Ihren körperlich ebenso wie stimmlich überaus sinnlichen Avancen begegnet der stoische Prinz Ali beinahe mit roher Gewalt.

Tamara Gura in der Rolle der Balkis ist eine Art „Spielleiterin“, die Vertraute der Prinzessin. Sie steuert jene – schon oft am Landestheater gehörten - samtweichen tiefen Töne bei, die auch in tiefer Lage hell zu strahlen wissen. Ihr Gegenspieler ist Leif Aruhn-Solén in der Rolle des Osmin. Und der ist in dieser Oper der treue fröhliche Diener des Prinzen! Stimmlich ebenso überzeugend wie darstellerisch bildet Leif Aruhn-Solén zusammen mit Tamara Gura mit Witz und Zurückhaltung das „niedere Paar“.

436Und die verloren gegangene Prinzessin selber? Diese scheint das Landestheater direkt in den Seiten der „Märchen aus 1001 Nacht“ gecastet zu haben: Laura Nicorescu singt strahlend und makellos, eine Märchenprinzessin in der Erscheinung mit technisch perfekter Stimmführung und reich timbrierten Sopranklang über alle Höhen. Franz Supper hat einen kurzen aber wichtigen Auftritt als zürnender Sultan von Ägypten, der die käuflich erworbene Lieblingssklavin dann doch freigibt.

In einer Art Rahmenhandlung treten zwei weitere hervorragende Sänger auf: Simon Schnorr als etwas neurotischer Kunstmaler Vertigo und Alexey Birkus als Philosoph und Verräter Calender: Calender gibt vor, Prinz Ali helfen zu wollen, spielt aber ein doppeltes Spiel. Das bleibt alles harmlos, geht nie in die Tiefe, ist aber im allerbesten Sinne unterhaltsam.

Denn all diese Figuren setzt Regisseur Jacopo Spirei mit Schwung und Geschick in glaubwürdige Beziehungen zueinander und lässt dabei im Tempo nicht nach. - Was die Kollegen und Kollginnen im Orchestergraben, die mit Temperament ihren prachtvollen Klangteppich ausrollen, ohnehin nicht zulassen würden.

Aufführungen bis 12. Dezember - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT/Christina Canaval