Tragödie in der Grauzone

UNI MOZARTEUM / THE TURN OF THE SCREW

28/01/23 Sie hätte das Zeug zu einer echten Kult-Inszenierung. Denn sie beweist, wie großartig und modern Musiktheater ohne zugemüllte Bühne, ohne überbordende Technik-Spielereien und mit klugem Einsatz von Videos sein kann: Benjamin Brittens Oper The Turn of the Screw an der Universität Mozarteum.

Von Gottfried Franz Kasparek

Man kann viel über die erschütternde Aktualität des Stoffs nachdenken und sich fragen, ob die Kinder nun Opfer von Pädophilie sind oder Opfer ihrer eigenen, vereinsamten Phantasie, ob die zwei Geister echte Gespenster oder verkleidete Unholde in Diensten des die Fäden ziehenden Onkels sind, ob die Gouvernante Opfer oder Täterin ist. James und Britten lassen viele Deutungen zu, wie es der Dramaturg Heiko Voss in seinem lesenswerten Programmheftbeitrag erläutert. Es ist gut, dass diese Produktion die Fragen offen lässt. Die Tragödie ist nicht einfach schwarz oder weiß oder bunt, sondern ereignet sich in Grauzonen – wie oft das reale Leben. Bejubelte Premiere war am Freitag (27.1.) im Max Schlereth-Saal der Universität Mozarteum. Es ist bedauerlich, dass diese Produktion nur viermal zu erleben ist. Regisseurin Florentine Klepper, deren einfühlsame Arabella-Inszenierung bei den Osterfestspielen 2014 in guter Erinnerung ist, setzt auf Werktreue im besten Sinn.

grafik.pngBrittens kongeniale Vertonung einer Meisternovelle von Henry James geht von zarten instrumentalen Farben und englischen Volksliedern aus, von jener typisch britischen „Pastoral Music“, die sehr schön sein kann und es hier zunächst auch ist.

Dazu passt ein hauptsächlich aus weißen Vorhängen bestehendes Bühnenbild, das wie eine alte Ansichtskarte aus Schwarz-Weiß-Zeiten wirkt, denn auf der wie eine Zeichnung wirkenden Video-Rückwand erscheinen ländliche Idyllen und das in Brittens Musik allgegenwärtige Meer. Alles verschwimmt in sanften Grautönen – so schön kann Grau sein – und dennoch entstehen fein konturierte Figuren. Die Idylle gerät immer mehr ins Wanken und das Grau wird zur Düsternis, sobald die pastorale Stimmung eines viktorianischen Landsitzes musikalisch und szenisch ins Gespenstische kippt.

Die Waisenkinder, die Gouvernante, die Haushälterin und die beiden Untoten geraten in eine diffuse, doch auch diffizile Zwischenwelt, in der so gut wie nichts sicher ist und welcher der Knabe Miles zum Opfer fallen wird. Übrigens: Grandios, wie der nie auftretende Onkel zu einer unsichtbaren Hauptperson wird! Dies alles bringt Florentine Klepper vollendet auf die Bühne - in virtuoser Zusammenarbeit mit der phänomenal begabten jungen Ausstatterin (inclusive Videos!) Selina Schweiger und dem Dirigenten Kai Röhrig. Er beweist seine Kunst des Modellierens von Klängen und des Spannens von Bögen einmal mehr am Pult eines hochkarätigen, aufs Sensibelste musizierenden Kammerorchesters und mitatmend mit dem patenten Ensemble. Die jungen Sängerinnen und Sänger spielen allesamt ergreifend und singen mit klarer und nuancenreicher Tonschönheit. Donata Meyer-Kranixfeld ist eine wahre Bühnenpersönlichkeit geworden und füllt die Gouvernante darstellerisch und stimmlich in all ihren Facetten aus.

Jesse Mashburn ist mit hellem Mezzo die eher schlichte Haushälterin. Anastasia Churakova und Anastasia Fedorenko, eine russische und eine ukrainische Sopranistin, beide mit großer Zukunft, sind die seltsam mädchenhaft dämonische Erscheinung der Miss Jessel und der ihre Puppe malträtierenden Flora. Der markante und dennoch lyrische Tenor Niklas Mayer und die fein akzentuierende Sopranistin Laura Obermair sind der rätselhaft bedrohliche Peter Quint und sein (?) Opfer Miles. Insgesamt eine Aufführung von – ja, von Festspielformat!

The Turn of the Screw – weitere Aufführungen, teilweise alternativ besetzt, im Max-Schlereth-Saal der Universität Mozarteum HEUTE Samstag (28.1.) um 17 Uhr sowie Montag (30.1.) und Dienstag (31.1.) jeweils um 19 Uhr – www.uni-mozarteum.at
Bilder: UniMoz / Wolf Silveri