Das Spiel von Sex, Mord und Macht

UNIVERSITÄT MOZARTEUM / POPPEA

29/06/22 Claudio Monteverdis L'incoronazione di Poppea vereint wieder einmal die Opern- und Ausstattungs-Abteilungen der Universität Mozarteum mit jener für Alte Musik: sehenswert in der Inszenierung von Alexander von Pfeil, musikalisch ein wahrer Genuss.

Von Gottfried Franz Kasparek

Es ist in der Tat ein „Dramma in musica“, welches im Max Schlereth Saal in ungewöhnlicher Raumgestaltung phasenweise mitreißen kann. Die Spielfläche ist mitten im Saal, die Sitzplätze sind auf Tribünen an den Längs- und an der Rückseite. Das hat es schon mitunter gegeben, aber diesmal ist es bloß ein langer weißer Streifen, der zusehends zertrampelt, aber von drei knorrigen, weiß versilberten, blätterlosen Bäumen zusammengehalten wird. Die papierene Landschaft dient auch als Liebeshöhle und als Leichentuch, Seneca bekommt seine Badewanne für den Abschied von der Welt. Eine Art Kasernenbett ist für alle, die es benützen, sehr gefährlich.

Sonst kommt das Bühnenbild von Wanda Stigler mit wenigen Requisiten aus und wirkt antik und zeitlos zugleich. Ähnliches gilt für die großteils schwarz-weißen Kostüme von Selina Nowak. Die unglückliche Kaiserin Ottavia trägt ein goldfunkelndes Barockgewand und eine weiße Perücke, mit der sie wirkt wie eine ergraute Mireille Mathieu. Die auftretenden allegorischen Figuren sind Satyre ganz in enganliegendem Weißgrau, der Liebesgott Amor hat ein kantiges Gemächt umgehängt und eine besonders häßliche Maske.

Regisseur Alexander von Pfeil verfügt wie immer über eine Theaterpranke, mit der er anschauliche Bilder schaffen kann. Das böse und leider nicht veraltete Spiel um Sex, Mord und Macht läuft effektvoll ab, die Personenregie bemüht sich mit Erfolg um körperbetonte Aktion. Im dritten Akt erhöht sich die Sterberate gegenüber dem Original beträchtlich, auch Drusilla, Ottavia und deren Amme werden Opfer des glitzernden Springmessers, mit dem Nero und Poppea ständig herumfuchteln. Ottone darf entkommen, wohl mit Rücksicht auf die Historie, denn er wird ja später noch für drei Monte als Kaiser gebraucht.

Wie es halt so war im alten Rom im wilden ersten Jahrhundert. Da kamen die zum Huldigen gezwungenen Konsuln und Tribunen offenbar direkt aus der Folterkammer. Bei all dem von ständiger Kopulier- und Mordlust bestimmten Trubel inclusive Sadomaso-Orgie nach Senecas Tod bleibt für den Rezensenten die menschlich berührende Inszenierung des Stücks von Eike Gramss, im Jänner 2010 am selben Ort, unvergesslich.

Das musikalische Zentrum befindet sich am oberen Ende der Spielfläche, wo Gernot Sahler mit einem offenbar handverlesenen „Renaissance-Orchester“ von zwanzig Leuten, darunter vier grandiose Blockflötistinnen auf der Seite gegenüber, für pulsierende Theatralik und manchmal für ergreifende Verinnerlichung sorgt. In der in der zweiten Aufführung am 28. Juni tätigen Besetzung gibt es einige Glanzlichter. Margarita Polonskaja, die schon als ihre Namensvetterin in Gounods „Faust“ ein Ereignis war, erfreut als durchtriebene Poppea wiederum mit blühendem Sopran, den sie in diesem Fall auch metallisch einfärben kann. Ihr Faust, der vibratoreiche Tenor Daehwan Kim, ist Nerone und findet diesmal im zweiten Teil seine Stimme, in der offenbar heldisches Material schlummert. Beide spielen beherzt und glaubwürdig, wirken wie tragisch getriebene Opfer und Mittäter eines schrecklichen Systems, welches ihnen nicht wirklich ein Happy end bieten kann. Denn sie singen ihr überirdisch lyrisches Schlussduett getrennt an Bäumen lehnend, wie einen fernen Traum. Am Ende schläft Poppea ein – oder entschläft sie? Dies ist die schönste Idee dieser Produktion.

Tamara Nüßl ist eine dramatisch akzentuierende Ottavia mit hellem Sopran, der Bariton Taesung Kim ein stimmlich und mimisch überzeugender Ottone, der Bassist Kuan-Ming Chen ein Seneca von überraschend jugendlicher Würde. Nun ja, der historische Seneca war 64, als er den Befehl zum Selbstmord erhielt. Der Sänger ist in alles Vorstellungen zugange, wie auch die entzückend mädchenhaft-naive Hee-Kyung Park als Drusilla. Der Countertenor Kirill Novokhatko spielt mit viel Witz eine sehr männlich wirkende Amme Ottavias, während der wunderbare Singschauspieler Johannes Hubmer als Poppeas Amme Arnalta in seiner Erscheinung und trotz Buffo-Tenors wirklich wie eine betuliche ältere Dame wirkt. Hubmer spielt noch drei kleinere Rollen dazu, jede völlig anders. Auch Yeaseul Park (Fortuna), Charlotte Langner (Tugend), Serafina Starke (Amor), Chanyoung Kim (Freigelassener) und Xiaofei Liu (Mercurio) setzen ihre frischen jungen Stimmen und Spielbegabungen vielseitig ein. Gleiches gilt für den siebenköpfigen Chor. Am Ende erwartungsgemäß großer Jubel.

Weitere Vorstellungen morgen Donnerstag (30.6.) mit der Premierenbesetzung und der Sopranistin Lyriel Benameur als Poppea. Am Freitag (1.7.) in der hier besprochenen Besetzung. Jeweils 19 Uhr im Max-Schlereth-Saal – www.moz.ac.at
Bilder: Universität Mozarteum / Judith Buss