Ohne Salto über den eigenen Schatten springen
LANDESTHEATER / ARIADNE AUF NAXOS
20/09/21 „Süße Stimme“ singt das Trio der Nymphen auf Bacchus' Erscheinen – eine jener Szenen, von der die Komödiantengruppe zuvor geargwöhnt hat, dass sich das Publikum zu Tode langweilen werde. Gerade da lauschen der Komponist und Zerbinetta, in trauter Zweisamkeit, und er streicht ihr liebevoll übers Haar.
Von Reinhard Kriechbaum
Der allgegenwärtige Fotograf – wenn einer aus der besseren Gesellschaft eine Oper in Auftrag gegeben hat, die nun zur Uraufführung ansteht, wohl unabdingbar – hat im rechten Moment abgedrückt. Ein Bild im Posterformat gerade dieser intimen Szene wird am Ende der Aufführung hereingetragen. Das Happy End hat Richard Strauss ja schon im Vorspiel der Ariadne auf Naxos festgeschrieben, wenn Zerbinetta (die Vertreterin der heiteren Muse) und der Komponist (einer Opera seria) einander ihre Angewiesenheit auf eine Seelen-Partnerin oder einen -Partner versichern. Ein paar Irritationen noch, aber im Grunde ist da die Versöhnung zwischen Buffa und Seria gelaufen.
Gerade, weil's so viel zu beschreiben gibt in der ersten Opernproduktion dieser Saison im Landestheater das Musikalische zuerst: Da zeigt Leslie Suganandarajah, was er kapellmeisterlich drauf hat. Das Mozarteumorchester seinerseits führt mit bester Lust und Laune und vor allem gediegen im Klang vor, wie süffig die Ironie des Richard Strauss' auch im Landestheater rauskommen kann. In dieser Partitur wabert ja oft und oft, humorvoll zugespitzt, Wagner. Und eben so oft glaubt man die Possen der Commedia dell'Arte Gruppe heraus zu hören.
Der kammermusikalisch gefasste und doch pastose Tonfall perlt an diesem Abend mit zaubrischem Charme aus dem Orchestergraben. Beeindruckend auch, wie genau sprachlich gearbeitet wurde mit dem Ensemble. Bis in die Nebenrollen hinein und vor allem auch in den Ensembleszenen versteht man jedes Wort. Kein fremder Zungenschlag, obwohl die Protagonisten aus aller Herren Länder kommen. Über drei Damen wie hier die Nymphen Laura Incko, Anat Czarny und Victoria Lreshkevich täte man sich in einer Zauberflöte echt freuen. Und dasselbe gilt für die Crew um Harlekin, Truffaldin und wie sie alle heißen. Ausgefeilte Präzision, die sich hören lassen kann, serviert mit Leichtigkeit.
So spielerisch leicht kommt das alles daher, dass es gar wunderbar ins Haus am Makartplatz passt. Hier hat im Sommer 1926 gar Strauss selbst diese Oper ein Mal dirigiert (es war die erste Strauss-Oper bei den noch jungen Festspielen).
Der Mäzen (Matthias Hermann in der Sprechrolle) hat also Ariadne in Auftrag gegeben. Wer genauer schaut, mit was für Kunst sich der Neureiche in seinem Salon umgibt (Bühne: Simeon Meier), den wundert nicht, dass es bald Zores geben will. Da herrscht Geschmacksverwirrung. Der Mäzen kauft nicht nur bei Ropac ein... Und so hat er eben nicht nur ein Opernensemble, sondern auch die Truppe um Zerbinetta am gleichen Abend engagiert. In der sehr heutigen Lesart der Regisseurin Alexandra Liedtke ist's eine Boygroup. Wenn's hart auf hart geht, Komödie und ernste Oper gleichzeitig stattfinden sollen, muss die verlassene todtraurige Ariadne schon mal einem Pop-Barden das Mikrophon halten. Kunst lebt vom Kompromiss, müssen alle lernen. I am for an Art (© Claes Oldenburg) leuchtet als Neon-Skulptur auf einem Sockel. An steht für eine gemeinsame, kreative, Grenzen überwindende Kunst.
Das setzt Alexandra Liedtke also weitgehend ohne Purzelbaum schlagende Harlekins um. Sie fokussiert auf das Verhältnis von Ariadne und Komponist, die sehr schnell zueinander finden, das Miteinander aber auch erst verinnerlichen müssen. Das heißt auch, ohne Salto über den eigenen Schatten springen. Beide Sopranistinnen – Olivia Cosío als Komponist und Alina Wunderlin als Zerbinetta – haben, gerade weil es so lucid aus dem Graben tönt, reichlich Gelegenheit zur Differenzierung: Also viel mehr leidenschaftliche Kantilene auf der einen, und vor allem auch viel mehr als Koketterie auf der anderen Seite. In der großen Zerbinetta-Arie führt Alina Wunderlin das einprägsam vor, selbst die tollkühnen Koloraturen weiß sie zurück zu nehmen. Ein Rollenprofil auch mit viel Nachdenklichkeit.
Die Ausgewogenheit im Ensemble nimmt für diese Aufführung ein. George Humphreys ist im Vorspiel (man spielt ohne Pause) ein argumentationsstarker Musiklehrer. Nicht minder überzeugend Samuel Pantcheff (Harlekin), Andrew Munn (Truffaldin), Manuel Günther (Brighella) und Luke Sinclair (Tanzmeister/Scaramuccio).
Ariadne und Bacchus sind offenbar nicht gerade die Lieblingsfiguren der Regisseurin, vielleicht spielt sie aber auch nur die „Seria“-Komponente am Beispiel der beiden ein wenig zu obsessiv aus: So darf also Betsy Horne in der Titelrolle vor allem steif dasitzen oder -stehen, was freilich der sorgsam formulierten Lyrik zugute kommt. Franz Supper hat alle Höhen für den Bacchus in gewünschter Leuchtkraft, aber es ist auch nicht zu überhören, dass ihm diese exponierte Rolle auch viel Kraft abverlangt.
Ein nettes Detail: In Alexandra Liedtkes Inszenierung lernen nicht nur die Gaukler und die Opera-seria-Leute das Miteinander. Auch der Mäzen wird eingebunden ins Spiel. Und wenn es gilt, fürs „Hinüber“ der Ariadne zu Bacchus Meereswellen zu erzeugen, sorgen der Komponist und Zerbinetta für die sanfte Bewegung des Seidentuchs. So schön geht’s gemeinsam – und so toll kann eine Ensembleleistung im Landestheater ausfallen. Man hat sich damit die Latte sehr hoch gelegt.