Ist die Welt ein Cabaret?

LANDESTHEATER / CABARET

22/05/21 John Kanders Cabaret als Gleichnis der verletzlichen Welt der Illusionen. Nach O’Briens Rocky Horror Picture Show stürzt sich das Landestheater in das nächste Musical-Abenteuer mit einem Werk, bei dem die Verfilmung unerreichbare Ikonen geschaffen hat.

Von Erhard Petzel

Andreas Gergen musste also für die Blitzidee des Hauses, mit diesem Stück Joe Masteroffs die Auferstehung aus dem Lockdown zu feiern, ein stimmiges Konzept finden für eine unverwechselbare und eigenständige Version des so prominenten wie intelligenten Werkes. Er nützt die lapidaren Episoden für eine ganz reduzierte Bühne, die mit dem Nötigsten auskommt und damit das Geschehen auf die wesentlichen Grundelemente konzentriert.

Das beginnt bei der Bühne, deren Motorik zwar intensiv genutzt wird, als Raum aber rudimentäre Gestaltung findet. Vor dem Beginn wabert Nebel über das Schwarz, das nur mit silbernen Disco-Kugeln unterschiedlicher Größe belegt ist; so könnte auch Rheingold beginnen. Kugeln, Lichterbalken und Richard Schlagers Lichtspiele gestalten den Himmel, der zunächst voller Sessel hängt, die dann das Basismobiliar für alles stellen. Conférencier Georg Clementi managt als Lodentunte die Szene (wobei es auch zur Himmelfahrt kommt), das Personal wandert mit Koffern als durchgehende Symbolrequisiten ein, aus denen heraus es dann in die Kit-Kat-Klub-Gesellschaft mutiert. Auch die Kostüme Stephanie Bäuerles sind auf das Wesentliche reduziert und verzichten auf unnötige Verfremdungseffekte.

Durchgehend bleibt der Charakter der Showbühne erhalten, sodass reale Spielszene und Revue-Einlage sich nicht ablösen, sondern überlagern mit Aufwertung des Conférenciers als Spielemacher und Szenemagier. Voyeuristisches Begaffen ist nicht nur Element innerhalb der Handlung, sondern wird hier zum durchgehenden Regieeingriff. Eine verschiebbare Tür reicht für die Darstellung der Raumsituation auf der Bühne, die nach Bedarf aber hemmungslos gebrochen und umgemodelt wird. Ein goldener Glitzerflügel ist das glamouröseste Teil für die Showauftritte von Sally Bowles. Nach der Gewaltorgie von Nazis im Klub kommt es zur szenischen Umkehr, sodass sich die orgiastische Gesellschaft wieder in das biederbürgerliche Outfit zurückzieht, womit sie den neuen Herrschaftsverhältnissen Rechnung tragen kann.

Dieser Wandel steht in der Inszenierung auch im Vordergrund. Die Verlobungsfeier von Fräulein Schneider, der Vermieterin, mit Herrn Schulz, Obsthändler und Jude, wird zur zentralen Szene. Britta Bayer und Axel Meinhardt berühren hier auch mit ihren Songs. Die Verschränkung mit der möglichen Ehe der schwangeren Sally mit Clifford Bradshaw kommt deutlich zur Geltung. Eine Traumrolle für Gregor Schulz. Seine Reaktion auf ihre Abfuhr samt Bekenntnis der Abtreibung ist nicht mehr nur Theater. Die hier erreichte Intensität zeigt den Schauspieler als Ausnahmeerscheinung. Allein für diese Minute muss man die Aufführung gesehen haben.

Sophie Mefan ist natürlich nicht Liza Minelli, fegt aber fallweise ordentlich los und dürfte mit dieser Rolle ihre Entwicklung auf ein neues Niveau heben. Matthias Hermann erinnert in seiner Rolle als berechnender Freund und Nazi Ernst Ludwig etwas an Goebbels. Die Kit Kat Klub-Girls sind herrlich schräg, wobei Aaron Röll als Bobby nicht nur durch Mimik und Gestik heraussticht, sondern auch durch in ihrer skurrilen Wirkung unnachahmliche Akrobatik. Für eine sprudelnde Choreografie sorgten Josef Vesely und Kate Watson. Julia-Elena Heinrich deutet als Matrosen vernaschende Untermieterin als einzige Berliner Schnauze an.

John Kanders herrliche Musik kommt in der reduzierten Orchesterfassung Chris Walkers unter dem Dirigat von Gabriel Venzago schwungvoll zu voller Blüte. Die Balance zu den Singstimmen wird sich wohl auch mikrofontechnisch noch perfektionieren lassen.

Ist die Welt ein Cabaret? Jedenfalls hat das Publikum diese Welt des Cabarets mit beglücktem Applaus bedacht.

Aufführungen bis 18. Juni – www.salzburger-landestheater.at
Bilder: Anna-Maria Löffelberger