Abgestürzt ins Heil

FELSENREITSCHULE / LOHENGRIN

04/11/19 Die heidnische Priesterin steckt die christlichen Frommen und Frömmler locker in den Sack. Wenn es Sieger gibt in der tieftraurigen ur-deutschen Märchen-Tragödie Lohengrin, dann die diabolische Seherin Ortrud - und alle Ausführenden in der stupend gelungenen Neuproduktion des Landestheaters.

Von Heidemarie Klabacher

Der abgestürzte Flieger füllt die monumentale Bühne in der Felsenreitschule. Die Heckflosse, ganz geblieben, ragt bis hinauf in die dritte Arkadenreihe und trägt noch immer stolz den Löwen von Brabant. Der aufgerissene und zerborstene Rumpf des Passagier-Flugzeuges dient als Palast und Münster zu Brabant ebenso, wie als Brautgemach – das auf der abgebrochen Tragfläche aufgeschlagen wird. In der verkohlten Hülle des Wracks wird gekämpft, geheiratet und Gralsritter-Glanz angenommen: ein wahlweise düsterschwarzer oder gleißendheller Tunnel, in dem alles möglich ist, was sich die Phantasie der Zuschauer dazu erdenkt.

Das Mozarteumorchester unter der Leitung von Leslie Suganandarajah, des neuen Operndirektors am Landestheater, herausragende Sängerinnen und Sänger und ein hervorragender Chor führen in der gewöhnungsbedürftigen Umgebung eines Flugzeugunglücks einen packenden Lohengrin zum musikalisch-sängerischen Triumph.

Flugzeug. Flügel. Schwan. Auch Flügel. Absturz und Endzeit. Absturz in die Endzeit religiös motivierter Gewalt... Bühnenbildner Piero Vinciguerra schuf mit dem in die Felsenreitschule gestürzten Flugzeug ein apokalyptisches – ebenso befremdliches wie stimmiges – Setting für eine ruinös ausgehende Endzeit-Story. Die zum „Heil“ verführten Protatgonisten, allen voran die fromm-visionäre Elsa, erleiden einen brutalen Crash.

Erzählt wird in dieser Lesart vom Absturz aus himmlisch-sektiererischen Höhen hinab in die Tiefen der politischen, ebenfalls religiös grundierten Intrige. Doch selbst Ortrud, die diabolische Gewinnerin im Intrigenspiel, verschwindet sang-und-klanglos im Nichts. Und Lohengrin, in dieser Produktion eine Showmaster-artige Lichtgestalt, hat erstaunlich dunkle Seiten: Er trägt über dem glitzernden Panzerhemd einen von Kostümebildnerin Gabriele Rupprecht als Spiel von Licht und Schatten desingten schwarz-weißen Anzug und schickt sich in der Regie von Roland Schwab kurzerhand an, die naive und doch so hellsichtig zweifelnde Elsa im Brautgemach (auf der abgebrochenen Tragfläche) schlichterhand zu vergewaltigen. Heil- und Licht-Bringer = Luzifer in einem. Vielleicht sollte der liebe Gott einen lieber behüten, vor allen jenen, die uns das Heil bringen wollen...

Nicht alles ist stimmig in der Inszenierung von Roland Schwab. Warum die Überlebenden der Flugzeugkatastrophe alle Abendkleidung tragen, ist solch eine Detailfrage. Gleichzeitig überzeugt die Regie gerade in Details, wie etwa dem Psychogramm einer leitmotivisch durch das Armageddon schwankenden schwer traumatisierten Überlebenden.

Es ist ein musikalisch und sängerisch ebenso überzeugender, wie darstellerisch und szenisch spannender Lohengrin, mit dem sich das Landestheater in der Felsenreitschule eingemietet hat. Am Pult des Mozarteumorchesters gab der 1983 in Sri Lanka geborene, in Deutschland aufgewachsene und ausgebildete Leslie Suganandarajah sein überzeugendes Debüt als Musikdirektor des Landestheaters. Die Streicher des Mozarteumorchesters entfalten die Licht-Klänge Richard Wagners als Bögen, die wie Unendlich-Schleifen ineinander greifen. Die Bläser geben den düstern Umtrieben Ortruds und Telramunds bedrohliche aber wohl ausgelotete Schärfe bei perfekt gerundetem Gesamtsound. Leslie Suganandarajah und das Mozarteumorchester betören mit einer Wagner-Lesart, in der man sich durchaus träumend verlieren möchte, gäbe es nicht in jedem Moment spannenungsvoll erhellte Details zu hören. Die höfischen Festfanfaren etwa bringt Leslie Suganandarajah geradezu zum Swingen.

Die Sängerinnen und Sänger sind handverlesen, ihre Leistungen wurden nach der Premiere am Samstag ( 2.11.) in der Felsenreitschule zurecht minutenlang bejubelt: Der Tenor Benjamin Bruns ist ein Lohengrin aus dem Bilderbuch, seine Stimme geschmeidig und strahlend in allen Lagen. „Spitzentöne“ werden von ihm nicht angesteuert, sondern wie selbstverständlich eingebettet in die großen Linien. Stupend ist die Textverständlichkeit dieses Wagner-Sängers von Rang. Die Schattenseiten, die die Regie nicht nur auf seinen Anzug wirft, machen den langweiligen Ritter ohne Tadel erst interessant: Lohengrin als Urvater aller evangelikalen Seelen-Fänger? Gut so. Bei aller übergroßen Liebe zu den sagenhaften Lichtgestalten der Mythologie, ist es nur gut, wenn ein Regisseur die Heroen-Maske ein wenig lüftet. Dieser stimmlich durchaus anbetungswürdige Lohengrin versucht ja doch nur, nicht anders als die diabolische Ortrud, die verunsicherte Elsa nach seinem Willen zu manipulieren. Vielleicht ist es beim „Gral“ trotz aller Wunder ein wenig fad, und ein wenig weltliches Herrschen eine reizvolle Abwechslung.

Die nämlichen Stimm-Qualitäten, wie ihr Retter und Erlöser, entfaltet im Sopranfach Jacquelyn Wagner als Elsa von Brabant. Mit der weltfremden Ruhe einer von genialen Verführen der Welt entrückten Unschuld vom Lande phantasiert Jacquelyn Wagner mit beinah ebenso vibrato-loser Unschuld in der Stimme von Rittern und Schwänen. Dieser Elsa muss man sich zu Füßen legen.

Auf der dunklen Seite der Macht überzeugen Alexander Krasnov als Friedrich von Telramund und ganz besonders Miina-Liisa Värelä als dämonisch präsente und stimmlich überragende Ortrud: Keine Schärfe in der Stimme, kein Bruch in den schmeichlerisch sanften Linien könnten Elsa vermuten lassen, dass diese Ortrud doch keine wahre beste Freundin ist.

Pavel Kudinov als würdevoller König Heinrich der Vogler ist ebenso überzeugend, wie Raimundas Juzuitis aus dem Ensemble des Landestheaters, der als Heerrufer des Königs ein unmotiviert tolpatschiges Gehabe an den Tag legen muss.

Chor und Extrachor des Landestheaters (Einstudierung Wolfgang Götz) werden verstärkt vom Philharmonia Chor Wien (Einstudierung Ines Kaun und Walter Zeh) und entfalten gemeinsam die großen Chorszenen darstellerisch so lebendig wie sängerisch homogen und transparent.

Der abgestürzte Flieger als Bühnenbild irritiert und inspiriert. Wer hat das Flugzeug abstützen lassen? Heidnische Terroristen? Anbeter der vom Christengott verdrängten Götter Wotan und Freia, denen Ortrud anhängt, die ihren Gatten Telramund in die Intrige gegen Elsa überhaupt erst hineingehetzt hat? Immerhin sind es die Vier Edlen von Brabant, Telramunds Getreue, die in der Hochzeitsnacht von Lohengrin und Elsa Sprengsätze auf dem Wrack anbringen: Spielt die ganze schräge Story sich übernhaupt im Kopf der Passagiere ab im Augenblick der Explosion? War die aufstrahlende „Lichterscheinung“ im Vorspiel doch nur der Anfang vom Ende? Der Schwan? Eine Licht-Vision. Vielleicht auch Einbildung.

Lohengrin – weitere Aufführungen in der Felsenreitschule bis 7. Dezember - www.salzburger-landestheater.at
Bilder: LT / Anna-Maria Löffelberger