Proberaum für das Unvorhersehbare

FÜNZIG JAHRE SZENE SALZBURG

07/10/19 „Widersprüche und Gegensätze können befruchten, auch wenn der Weg mitunter mühsam ist“, schreibt Heinz Schaden in der Publikation Szene Salzburg 1969 – 2019. Steile Wege, steil im Sinne von cool und manchmal auch von mühsam, steile Wege unbeirrbar beschritten von Visionären und Verrückten führten zu dem, was morgen Dienstag (8.10.) als Szene Salzburg ihren Fünfziger feiert.

Von Heidemarie Klabacher

„In den Szenen wird die Zukunft geprobt. Szenen sind Impulszonen städtischen Lebens. Sie bieten Möglichkeiten, ohne gleich zu verpflichten. Szenen sind keine Ersatzwelten, eher Vorwelten in den sich Künftiges artikulieren kann.“ Was Friedrich Achleitner, schon immer ein Visionär, 1998 anlässlich des Umbaus des Stadtkinos, dann Republic, heute Szene Theater, geschrieben hat, gilt noch immer: „Orte, die sich auf Grund ihrer landschaftlichen und kulturellen Ressourcen zu Tourismus­zentren und damit zu reinen Dienstleistungs­betrieben entwickelt haben, zeigen die Ten­denz, in der sogenannten Zwischensaison, in der sprichwörtlichen 'toten Zeit' für die Bewohner zu Nutzungsbrachen zu verkom­men. Die Atmosphäre verlassener Goldgräber­orte macht sich breit.“ Im heutigen Salzburg gibt es längst keine touristisch tote Zeit mehr. Umso wichtiger sind Szenen als „Proberäume, die für alles Unvorhersehbare offen sind“.

Das ist im fünfzigsten Jahr des Entstehens einer „alternativen“ Kultur-Institution geradezu eine Mahnung: Geht mit jeder Institutionalisierung und Sesshaftwerdung doch immer auch die Gefahr genau dieser Institutionalisierung und Sesshaftwerdung einher.

Alternative „Szenen“, die sich vom Gemeinwesen ein Haus hinstellen, zuweisen oder schenken und Subventionen zahlen lassen, sind grundsätzlich in Gefahr, eingefriedet, eingemeindet und entschärft zu werden. Dazu dräut immer auch die Gefahr der Verlockung zu erliegen, im über Jahrzehnte gut eingköchelten eigenen Saft geruhsam weiter zu schmoren.

Begegnet die Szene Salzburg dieser Gefahr mit regelmäßig genug erfolgenden Intendanten- und damit programmatischen Richtungs-Wechseln? Ist die Szene für die Zukunft gerüstet, indem sie ihre eigene Vergangenheit und Gegenwart regelmäßig genug in Frage stellt? Ist die Szene Salzburg auch für die nächsten fünfzig Jahre ein Proberaum, der für alles Unvorhersehbare offen ist? Ein so runder Geburtstag, wie der Fünfzigste sollte auch ein Tag des Neudenkens und Infragestellens alles Bisherigen sein.

Die derzeitige Intendantin Angela Glechner macht die Stadt Salzburg und ihre lokalen Künstlerinnen und Künstler immer wieder zu Thema, Schauplatz und Protagonisten der SommerSzene. Ein verdienstvoller Ansatz. Frischer Wind muss freilich auch von weiter her, ja von weither wehen: „Städte, die sich ausschließlich der kulturellen Reproduktion verschreiben“, so Achleitner in der Jubiläums-Publikation, „vernichten nicht nur ihre Geschichte, sondern auch ihre Zu­kunft.“ Das gilt auch für Institutionen. Und spielen junge Leute – in programmierender und richtungsweisender Funktion – in der heutigen Szene Rollen, die groß genug sind für die Zukunft. Immerhin hieß das Ganze mal mal „Szene der Jugend“. Dieser ein wenig hausbackene Name wurde zurecht aufgegeben, keineswegs obsolet ist der damit transportierte Gehalt.

Fünfzig Jahre“ sind freilich ein guter Grund zum Feiern und Zurückzublicken. Die von Michael Stolhofer herausgegeben Jubiläums-Publikation zelebriert den Rückblick auf 240 Seiten. „Die Szene Salzburg steht für Tanz“, eröffnet etwa Klemens Maria Schuster seinen Beitrag Szenen abseits der Bühnenkunst, um alsbald daran zu erinnern: „Immer aber fanden sich im Programm Exkurse in andere Aktivitäten und Kunstformen.“ Forschungen in den Randgebieten der Bühnenkunst hätten viel zur Frische und zur Lebendigkeit beigetragen – und seien schon in den Anfangstagen von Alfred Winter grundgelegt worden. „Die Sommerszene war eine Plattform, die im Prinzip Allem und Jeder und Jedem offenstand, der einen künstlerischen Beitrag abseits des damals fast ausschließlich klassisch orientierten Kulturverständnisses liefern wollte.“ Und dann seien es Künstlerinnen und Künstler selber gewesen, „die durch ihr breit gefächertes OEuvre jene Anregungen setzten, die zu einer weit gefassten Programmierung der Festivals führten“. Mit der Digitalisierung wurde das Künstlerbild einer weiteren Revision unterworfen „und die Vorstellung eines schöpferischen Akts, der innerhalb enger Genregrenzen und im inneren Ringen mit sich selbst stattfindet, endgültig obsolet“.

Sie hole Leute wie Jérôme Bel oder Forced Entertainment nach Salzburg, die in ihrem Bereich Weltklasse sind, heißt es im Interview von Martin Thomas Pesl mit Szene-Intendantin Angela Glechner. In Wien würden diese Aufführungen vom Publikum gestürmt, in Salzburg müsse man oft erst erklären, „wie berühmt diese Künstler sind“. Sie nehme die Leute, die kommen, „als wirk­lich waches, neugieriges, interessiertes und auch durchaus schwierigere Abend mittra­gendes und darüber diskutierendes Publikum wahr“, sagt Angela Glechner, nach Alfred Winter und Michael Stolhofer die erst dritte Intendanz in fünfzig Jahren. Dennoch bleibe der Eindruck, „dass dem Salzburger Publikum en gros aber oft nichts gut genug ist“. „Ich könnte schreiben: 'Marta Górnicka! Münchner Kammerspiele, Berliner Festspiele, Avignon Festival!' Sie würden sagen: 'Aber wir haben ja hier die Salzburger Festspiele, da kommt eh’ die Créme de la Créme.'“

Nichts scheine den Salzburgern groß genug oder spektakulär genug, „und gerne wird auch in der Vergangenheit geschwelgt, auch wenn für mein Dafürhalten ein Künstler nicht mehr wirklich auf der Höhe der Zeit ist“. Solche Geschmacksdiskussionen führe sie „natürlich hauptsächlich mit Leuten, die schon seit dreißgig Jahren zuschauen kommen“. Bei den jüngeren Leuten sei das anders, betont Angela Glechener: „Wir pflegen sehr gute Verbin­dungen zu den diversen universitären Ein­richtungen. Am Mozarteum zum Beispiel weht seit einigen Jahren ein frischer Wind, der sich auch im Curriculum niederschlägt. Die tragen das, was wir machen, sehr stark mit. Das ist toll, denn man wünscht sich natürlich den Spirit des jungen Publikums.“

Fünfzig Jahre Szene Salzburg wird an zwei Tagen gefeiert - mit der Kultproduktion The show must go on von Jérôme Bel am Dienstag (8.10.) und einem Fest für die Kunst am Donnerstag (10.10.) jeweils um 20 Uhr im SZENE Theater - www.szene-salzburg.net
Michael Stolhofer (Hg.): Szene Salzburg 1969 – 2019. Ein Buch der Szene Salzburg. Salzburg 2019. 240 Seiten. Das Buch gibt es am Donnerstag (10.10.) beim Fest einmalig zum Subskriptionspreis von 9 Euro, danach kostet es 19 Euro
Bilder aus: Michael Stolhofer (Hg.): Szene Salzburg 1969 – 2019
Zum zweiten Teil (Alfred Winter)
Unser Woodstock machten wir selbst
Zum dritten Teil (Nikolaus Topic-Matutin)
Große Oper im Petersbrunnhof
Zum vierten Teil (Siegbert Stronegger)
Eigentlich unbeschreiblich