Der Meister und Dmitri

FESTSPIELE / IGOR LEVITT

10/08/17 Schostakowitsch erlebte 1950 als Mitglied der sowjetischen Delegation auf dem Leipziger Bachfest zum 200. Todestag des Komponisten die Aufführung des „Wohltemperierten Klaviers“ durch die Pianistin Tatjana Nikolajewa. Wieder daheim schrieb er in viereinhalb Monaten seinen Zyklus von 24 Präludien und Fugen durch alle Dur- und Molltonarten.

Von Erhard Petzel

1951 führte er sein Werk selbst vor dem sowjetischen Komponistenverband auf, um die Genehmigung zu öffentlicher Aufführung und Publikation einzuholen. Wenig erstaunlich, dass Fugen dem Ideal sozialistischer Kunstprogrammatik nicht besonders entgegenkamen. Wohl dem heutigen Musikrezipienten, der ein Werk einfach ohne überfrachteten Ballast schätzen kann: So wichtig die Beschäftigung mit Entstehungsbedingungen und Biografie für Wissenschaft und Interpreten ist, als Hörer reicht es, sich mit der Musik an sich zu begnügen.

Der Pianist Igor Levit bietet mit seinem differenzierten und klaren Spiel einen abwechslungsreichen und äußerst beeindruckenden Reigen durch ein musikalisches Universum, das Referenzen nach außen und innen aufweist. Das mit unterschiedlichsten Ideen und Affekten überrascht und bei aller Monumentalität auch eine dramaturgische Binnenstruktur nicht vermissen lässt. Die Bandbreite eröffneter Stilassoziationen umfasst Schubert, Debussy, Ligeti, Beethoven, Mahler, Bach, Chopin und wen auch noch immer man mit dem gebrochenen romantischen Gestus und dem Individualstil Schostakowitsch´ verbindet.

Das Verhältnis der unterschiedlichen und unterschiedlich langen Präludien zu ihren Fugen kann kontrastiv sein, es kann aber auch das Fugenthema unmittelbar vorformuliert werden mit ineinander fließendem Übergang. Resignatives Absacken, aufgefangen von Aufschwüngen kann Haltung sein wie sinnendes Versinken, leichte Beschwingtheit, feine und grobe Parodie, mächtiges Pathos und höchste Virtuosität. Das innerhalb der Einheiten wie untereinander im dramaturgischen Aufbau oder scharfen Kontrast. Als Fugenthemen treffen sich kurze Minimalfloskeln mit ausladenden und raffiniert komplexen Gebilden. Vorbereitet vom groben Walzer des Präludiums, verleitete die wüste Fuge Nr. 15 zu spontanem Zwischenapplaus. Die Standing Ovation am Schluss war kaum dem Bedürfnis geschuldet, das auf den Holzsitzen zermarterte Gesäß zu entlasten, als vielmehr Levit die gebührende Ehre für seine Glanzleistung zu erweisen. Allerdings reichte es dem Meister nach diesem Monsterprogramm offenbar selbst, sodass er eine Zugabe nicht zu erwägen schien. Dennoch war die Zeit wie im Fluge verstrichen. Ungläubig erschaut das Auge kurz vor Elf als Uhrzeit.

Bild: Salzburger Festspiele/Robbie Lawrence